Neuentdeckung: fast so gut wie die NZZ
«Nach dem Seuchensozialismus kommt der Klimasozialismus. Das ist eine Gefahr für die liberale Gesellschaft. Wie wir uns dagegen wappnen, erklärt Ihnen unsere Wirtschaftsredaktion» – Kenner*innen werden wahrscheinlich bei diesem Lead an die NZZ denken. Doch das stimmt nicht ganz: Der Text stammt von einem seit Ende letzten Jahres aktiven und sehr amüsanten Twitter-Account namens «NZZ Kommentar Bot».
«Geht der Feminismus zu weit? Ein offenes Gespräch mit Andreas Glarner, Markus Somm und Eric Gujer» twitterte @NZZBot zum Beispiel. Oder: «Fridays for future? Warum Sie Ihre Teenager lieber in die MINT-Nachhilfe anstatt an Klimademos schicken.» Seine Entstehungsgeschichte erzählt @NZZBot so: «Wir zwangen unseren Bot über 1000 Artikel der NZZ des Eric Gujer zu lesen, nun twittert er selbstständig Hot Takes aus der liberalen Provinz» – und fügt, sicher ist sicher, noch «Parodie Account!» hinzu.
Wie reagieren die NZZ und insbesondere Inlandchefin Christina Neuhaus und Chefredaktor Eric Gujer darauf? Denn beide erwähnt der Bot persönlich, zum Beispiel mit: «Die Schweiz muss sich von niemandem sagen lassen, wie sie die Pandemie zu meistern hat. Ein Kommentar von Christina Neuhaus.» Und: «Die Virusvarianten kommen und gehen, nur die Hysterie bleibt. Es gilt jetzt, trotz täglichen Rekordzahlen, Ruhe zu bewahren und nicht in einen unnötigen Aktionismus zu verfallen. Ein Kommentar von Eric Gujer.» Was meinen sie dazu? «Wir wollen mit unserem Journalismus Debatten anstossen. Offenbar gelingt uns das», antwortete Karin Heim, Leiterin der NZZ-Unternehmenskommunikation.
Allerdings: Der @NZZBot stösst wohl kaum Debatten an und verleitet eher zu fröhlichem Gekicher.
Verlust: SRF-3-Abend ohne Lukie Wyniger, Rahel Giger und DJ Pesa
Abtauchen in fremde Musikwelten. Popgeschichte hören. Mit Musik verreisen. Oder sich berieseln lassen, bis einen plötzlich ein Stück aufhorchen lässt. Das bot bisher der Abend bei Radio SRF 3 mit den wechselnden «Music Specials» von Montag bis Freitag («Pop Routes», «Reggae Special», «Rock Special», «World Music Special» und «Black Music Special»).
Ab Ende März 2022 findet der SRF-3-Abend neu ohne die charakteristischen und von Fans heiss geliebten «Specials» statt. Denn dann startet jeweils ab 20 Uhr ein «neuer und ganzheitlicher Musikabend». Laut Manuel Thalmann, Leiter Jugend & Musik, sollen dabei die verschiedenen Genres der Specials weiterhin abgebildet und thematisiert werden: «Der neue Musikabend pflegt einen Umgang mit ‹fliessenden Grenzen› und sieht darin viel Potenzial.» Ausserdem sollen neue Podcast- und YouTube-Angebote dazukommen. Das neue Musikangebot werde kommuniziert, «sobald alle Details feststehen».
Klar, auch das SRF-3-Abenprogramm hat mit sinkenden Quoten zu kämpfen. Aber wird ein Musikprogramm mit «fliessenden Grenzen» das Problem wirklich lösen? Zumal einige profilierte Stimmen fehlen werden. Thalmann verspricht zwar, dass Inhalte und Stimmen der Specials-Macher*innen «fixer und unverzichtbarer» Bestandteil des Programms bleiben werden. Doch mit Lukie Wyniger («Reggae Special», Bild oben), Rahel Giger («Word Music Special») und DJ Pesa («Pop Routes») haben sich drei der fünf «Special»-Moderator*innen entschieden, die SRF-Musikredaktion zu verlassen, wie Abteilungsleiter Thalmann auf Anfrage mitteilt. Ihr grosses, spezielles Musikwissen werden sie mitnehmen.
Zum Händewaschen: Inside Paradeplatz gegen elleXX
Wenn Beni Frenkel für Inside Paradeplatz schreibt, kann es zu rechtlichen Schritten kommen. Bei seinem Artikel über Ellen Ringier und Fritz+Fränzi gab’s eine Gegendarstellung. Und als er jüngst über die Wirtschaftsjournalistin Patrizia Laeri und deren Finanzplattform elleXX schrieb, musste Inside Paradeplatz auf Klage von elleXX hin entsprechende Aussagen vom Netz nehmen, weil er dabei sexistische Ausdrücke verwendet hatte. Zum gleichen Artikel ist zudem eine Klage von elleXX beim Zürcher Handelsgericht hängig.
Lukas Hässig, Betreiber von Inside Paradeplatz, reagierte darauf mit einem weiteren Artikel. Frenkels Text habe die Entwicklung des elleXX-Fonds ins Zentrum gestellt, dessen Performance bisher «wenig berauschend» sei, schrieb er. Und: «Die Anreicherung des kritisierten Berichts mit Beschreibungen zur Persönlichkeit Laeri hängt mit deren Auftritten zusammen.»
Laeri ist also selber schuld, wenn im Kopf von irgendwelchen Personen sexistische und frauenfeindliche Phantasien abgehen? Dass sie abgehen (und von Inside Paradeplatz gut gefüttert werden), zeigen sehr viele Kommentare zu den beiden Artikeln. Kommentare, die laut Hässig moderiert werden: «Credo ist, möglichst freie Meinungsäusserung; rote Linie sind Aufruf zu Gewalt, Pornographie, strafrechtliche Vorwürfe etc.», wie er auf Anfrage schreibt.
Es sind Kommentare, von denen «zurück in die Küche, Patty!» noch einer der netteren ist, es sind Kommentare, nach deren Lektüre man sich noch öfter die Hände waschen möchte als es Alain Berset empfiehlt. Hässig und Frenkel haben ganz offensichtlich das Publikum, das sie verdienen.
Bettina Büsser
Redaktorin EDITO
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