Romina Spina über alte und neue Waffen gegen investigative Journalisten in Italien.
Mindestens vier Arbeitstage muss die Reporterin Cecilia Anesi jeweils investieren, um eine Schutzschrift vorzubereiten. Es ist der Beginn eines langwierigen Strafverfahrens, welches die freie Journalistin bereits zum vierten Mal durchlaufen muss. Jemand hat sich an einem ihrer Berichte gestört und hat die Umbrerin wegen Verleumdung verklagt.
Ständiges Risiko. «Wenn du publizierst, verklage ich dich.» Damit drohe man ihr, wann immer sie an einer Geschichte arbeite, erzählt Anesi. Das Risiko einer Verleumdungsklage nimmt sie in Kauf, da sie seit sieben Jahren investigative Berichte zu Themen wie Mafia, Korruption und Umwelt veröffentlicht.
Der Druck auf investigative Reporter wie Cecilia Anesi ist in Italien enorm. Das hiesige Mediengesetz sieht für Journalisten und Chefredaktoren im Falle einer Verleumdung eine Gefängnisstrafe von bis zu sechs Jahren vor. Dabei riskieren Kläger praktisch nichts. Politiker, Geschäftsleute, Staatsanwälte, Kleriker oder auch Mitglieder von Verbrechersyndikaten drohen Journalisten immer häufiger mit einer Verleumdungsklage.
Laut Schätzungen bleibt etwa die Hälfte solcher Drohungen ohne Folgen. Das mulmige Gefühl bleibt trotzdem. «Hast du einmal publiziert, weisst du einfach nicht, was noch alles kommen kann», meint die 30-jährige Anesi.
Die Einschüchterungstaktik zeigt Wirkung. Selbst grosse Medienhäuser sind nicht immun. Dies merkt Anesi bei ihrer Arbeit als Mitgründerin von Investigative Reporting Project Italy (IRPI), dem ersten gemeinnützigen Recherchezentrum für investigativen Journalismus in Italien. Das Zentrum finanziert mit Recherchefonds Geschichten, die es dann an nationale und internationale Medien verkauft.
Es ist jedoch schwierig, solche Berichte in der italienischen Presse zu veröffentlichen. Das Risiko, nach der Publikation verklagt zu werden, schreckt viele Redaktionen ab. Zudem wird Schadenersatz gefordert, der manchmal Millionen von Euro beträgt. Da die Medien rote Zahlen schreiben, kommt in den Chefetagen bald die Frage auf, ob sich investigativer Journalismus überhaupt lohnt.
Prekäre Verhältnisse. Vor derselben Frage stehen auch freie Journalisten, die teure Strafverfahren riskieren und gleichzeitig von den Redaktionen äusserst geringe Honorare erhalten, selbst für aufwendige Recherchen. Lorenzo Bagnoli, ein Mitglied von IRPI, rechnet vor, dass eine Online-Publikation in der Regel 30 Euro für einen Artikel zahlt, nationale Tageszeitungen zwischen 70 und 150 Euro, Zeitschriften von 200 bis 400 Euro. Bei lokalen Zeitungen gibt es für 30 Zeilen gerade einmal 5 Euro.
Verleumdungsklagen riskieren auch jene, die das Tagesgeschehen verfolgen. «Und was machst du, wenn du alleine dastehst und dir der Prozess droht?», beschreibt Bagnoli die Lage. Freie Journalisten bekommen keine rechtliche Unterstützung von den Publikationen. Von einem Mitarbeitervertrag träumen die meisten, auch sonst haben sie weder Garantien noch Schutz. Wer dann wegen Verleumdung verklagt wird, braucht nach Daten der gemeinnützigen Organisation «Ossigeno per l’Informazione» (Sauerstoff für die News) mindestens 5 000 Euro für die Anwaltskosten.
Die Journalisten von IRPI gehören zu den wenigen, die im Notfall bisher auf die rechtliche Unterstützung der auftraggebenden Medien zählen konnten. Dennoch kann es für freie Reporter eng werden, wie gerade Bagnoli erfahren musste. Die Zeitschrift, die seine Recherche abgedruckt hatte, übernahm die Kosten für seine Verteidigung nicht, als es zur Klage kam. An deren Stelle sprang «Ossigeno per l’Informazione» ein.
«Zuerst versuchen sie, dich zu kaufen.»
Seit 2008 dokumentiert die Organisation Drohungen und Angriffe auf Journalisten landesweit. Sie ist klein, verfügt aber auch über eine Rechtsabteilung, die Journalisten bei einem Verleumdungsverfahren kostenlos einen Anwalt zur Seite stellt. Bagnoli ist einer von insgesamt 13 Medienschaffenden, die gegenwärtig von «Ossigeno» unterstützt werden.
Alberto Spampinato, der engagierte Gründer von «Ossigeno», sieht Drohungen gegen Journalisten als Zensur und Selbstzensur. Wer sich keinen Anwalt leisten kann, macht Schulden oder überlegt sich, die Geschichte fallen zu lassen. Hat man sie bereits veröffentlicht, ist es wahrscheinlich, dass man diese löscht oder zurücknimmt und eine entsprechende Korrektur publiziert. «Ich habe das Geld und verklage dich, du hast keins und deshalb habe ich Recht», meint Spampinato zu den Missständen.
Minenfeld Süditalien. Recherchiert man in Italien auf lokaler Ebene, so ist man vor allem im Süden des Landes zusätzlichen Gefahren ausgesetzt. Dort riskieren Journalisten auch gewalttätige Einschüchterungen wie etwa verbrannte Autos, Sachbeschädigungen, Drohbriefe mit Gewehrkugeln oder physische Angriffe.
Unter erschwerten Bedingungen machen sie vor Ort die Recherchen, anders als die Kollegen der nationalen Medien kennen sie das Territorium und wissen, wie man sich bewegen muss.
Claudio Cordova ist ein solcher Journalist. Der 32-Jährige leitet die unabhängige Online-Zeitung «Il Dispaccio», die er in 2012 gründete, in seiner Heimatstadt Reggio Calabria. «Ein verlorenes Strafverfahren genügt und du musst dichtmachen», beschreibt Cordova den finanziellen Druck. Trotz seines jungen Alters hat er in zehn Jahren eine Serie von Klagen gesammelt. Vier Verfahren sind schon abgeschlossen, etwa ein Dutzend laufen noch. Verloren hat er noch keins.
Cordova hat festgestellt, dass inzwischen selbst die ’Ndrangheta, die kalabresische Mafia, gegen Journalisten weniger auf physische Gewalt setzt, sondern immer häufiger mit Klagen droht. Die kriminelle Organisation, die in Kalabrien in allen Bereichen mitmischt, hat sich schon längst professionalisiert. Sie versucht nun, mit hinterlistigen Waffen einem Reporter den Mund zu schliessen.
Dabei bevorzugt sie Klagen, weil sie unauffällig sind und den Journalisten trotzdem schwer treffen können. Nach einem physischen Angriff biete man einem Journalisten Solidarität, erklärt Cordova. Eine Klage hingegen könne die Arbeit und Integrität eines Journalisten in Frage stellen. Dann sei es einfach, diesen gesellschaftlich auszugrenzen und als korruptes Propagandainstrument darzustellen, er veröffentliche ja im Auftrag eines Geldgebers Artikel. Andererseits kann eine Verleumdungsklage dem Reporter auch finanziell kräftig zusetzen, vor allem wenn sich das Verfahren in die Länge zieht. In Italien kann das Jahre dauern.
«Zuerst versuchen sie, dich zu kaufen. Falls du dich nicht kaufen lässt, versuchen sie, dich mit diesen anderen Mitteln zu vernichten», fasst Cordova zusammen.
Autorin
Romina Spina ist freie Auslandkorrespondentin. Seit 2010 berichtet sie aus Italien, den USA und Mexiko.
1 Kommentar
Ihr Kommentar