Trolle, Langeweilerinnen, Rechthaber, Schimpferinnen, Kampagnen-Schreiber: In den Online-Kommentar-Möglichkeiten schlagen sich die Medien mit Kommentierenden herum, die Mühe machen und spannende Kommentare untergehen lassen. Edito+Klartext hat bei zwei Redaktionen einen Augenschein genommen und ein paar Ideen zum Umgang mit Online-Kommentaren gesammelt. Von Bettina Büsser
"Heiraten, Kinder adoptieren, gesetzlich unter einen besonderen Schutz stellen. Der rote Teppich wurde den Homosexuellen ja bereits ausgelegt. Sollen sie nun gesellschaftlich auch noch gepusht werden? In welcher verkehrten Welt leben wird denn eigentlich?", schreibt Werner Christmann aus Stein am Rhein. "Das ist seine Meinung", sagt Sabina Hübner lakonisch und schaltet den Kommentar frei.
Sie, die bei SRF News eigentlich für Social Media zuständig ist, hat an diesem Nachmittag einige Stunden lang die Betreuung der Online-Kommentare übernommen, wie das alle Mitglieder der Redaktion abwechslungsweise tun. Dass der Nationalrat am Vortag beschlossen hat, die Antirassismus-Strafnorm um die Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zu erweitern, regt im SRF News-Publikum viele auf und deshalb zum Kommentieren an. Genau wie die aktuellen Artikel über Flüchtlinge aus Eritrea, den Abschuss von Wölfen, Russland und die neue SVP-Initiative: Knapp 60 Kommentare aller Art haben sich angesammelt und warten auf Freischaltung. Bereits von einer entsprechenden Software überprüft, wird bei SRF News jeder davon noch von einer Person gelesen und beurteilt.
Keine Chance auf Freischaltung haben Kommentatoren, die nicht Vor- und Nachnamen, Wohnort und eine Mailadresse angeben oder auf einer "Schwarzen Liste" stehen, weil sie unter dem Namen anderer Personen kommentieren. Keine Chance hat auch jener Kommentar, in dem behauptet wird, Homosexuelle adoptierten Kinder, um sie zu missbrauchen. Ebenso wenig derjenige, in dem ein anderer Kommentierer als "primitiv" bezeichnet wird.
Fake "Hedi Wyler" am Stil erkannt
Hübner klickt sich durch die Kommentare, eine grosse Mehrheit davon schaltet sie frei, manche muss sie mehrmals lesen, andere veröffentlicht sie mit einem "Das ist seine Meinung". Ihre Routine lässt sie bei einem Kommentar zum Abschuss von Wölfen stutzen, der mit "Der Wolf tut dem Alpenraum nicht gut und am Turismus …" beginnt: Rasch geht sie auf ihrem zweiten Bildschirm auf Facebook, zum Profil des mittlerweile bekannten Internet-Fakes "Hedi Wyler" – und findet dort tatsächlich denselben Text. "Hedi Wyler" hat bei SRF News zwar einen anderen Namen verwendet, doch Hübner hat sie/ihn am Sprachstil erkannt.
Sie sei "eher streng", sagt Hübner von sich, denn die Netiquette, an die sich Kommentierende halten müssen, lässt einen gewissen Spielraum. Themen, die besonders viele und besonders viele nicht-freischaltbare Kommentare hervorrufen sind "Ausländer, Asyl, Israel und Russland". "Ich könnte das nicht den ganzen Tag lang machen", sagt Hübner. Auf Facebook, so ihre Erfahrung, benähmen sich die Leute gesitteter, weil sie dort ja meist ein persönliches Profil hätten.
Manchmal sind die Leute sehr ungesittet: "IHR LEBT VON MEINEM GELD IHR FEIGEN VERLOGENEN SRG-STAATS-ZENSOREN, IHR SEID SIMPLE HINTERHÄLTIGE ARSCHKRIECHENDE DRECKS-SCHWEINE UND GEHÖRT ALS CH-ABSCHAUM ALS KANONEN-FUTTER ZU EUREN ISLAMISTISCHEN DSCHIHAD-BUSENFREUNDEN ABGELIEFERT!", steht auf einem Ausdruck, der an der Wand hängt
Keine Freischaltung – Beschwerde beim Ombudsmann
Rund 10 Prozent der 500 bis 1000 Kommentare, die bei SRF News täglich hereinkommen, werden nicht freigeschaltet, erzählt Konrad Weber, Community Manager und Redaktor bei SRF News. Manche beschwerten sich beim Kundendient, wenn ihr Kommentar nicht veröffentlicht werde, zögen ihre Beschwerde sogar bis vor den Ombudsmann, so Weber, und: "Manchmal – etwa bei Ecopop – wird die Kommentarflut im Arbeitsalltag zur Last."
Zumal diese Flut sorgfältig behandelt werden muss, denn SRF News muss als Teil der gebührenfinanzierten SRG mit seinem Publikum vorsichtig umgehen. Und da das Publikum dies umgekehrt nicht immer tut, ist Präsenz und Moderation angesagt: "Man muss in der Wahrnehmung aktiv vorhanden sein", sagt Weber: "Es ist wie bei einem Garten: Ist er verlassen und ungepflegt, hinterlassen die Leute mehr Müll. In einem gepflegten Garten halten sie sich damit zurück."
Diese Pflege plant SRF News zu verbessern: Noch in diesem Jahr wird eine neue technische Lösung eingeführt, die eine zweistufige Registrierung verlangt – erst dann darf man kommentieren. "Restriktionen helfen", sagt Weber: "Es wird dann zwar weniger Kommentare geben. Aber die Qualität zählt."
Mehrheit will keine Registrierung
Wer durchsetzen will, dass sich die User überprüfbar mit ihrem Namen registrieren, gerät in ein Dilemma: Mehr Überprüfung bedeutet weniger Kommentare – und eventuell sogar weniger Traffic. Und ist nicht besonders beliebt. Das zeigen 2012 von Thomas Friemel für eine Studie* erhobene Daten aus Befragungen von Online-Kommentierern von blick.ch, newsnetz.ch und 20min.ch, die Edito+Klartext exklusiv vorliegen: Knapp 57 Prozent der Befragten stimmten der Aussage "Man sollte einen Kommentar schreiben können, ohne sich zu registrieren" voll oder eher zu, knapp 34 Prozent stimmten ihr gar nicht oder eher nicht zu. Und 41 Prozent der Befragten stellten sich hinter die Aussage "Man sollte seinen Namen angeben müssen, wenn man kommentiert", 46 Prozent sprachen sich dagegen aus.
Die Tendenz bei den Redaktionen geht dennoch hin zu mehr Registrierung. Denn alle Medien mit Online-Kommentarfunktion schlagen sich mit Usern herum, die auch in gepflegten Gärten Müll – sprich bösartige, sich nicht auf das Thema beziehende, langweilige, das Strafrecht verletzende, unverständliche, rassistische oder kampagnengesteuerte Kommentare – hinterlassen wollen. Die meisten Medien setzen mittlerweile eine Software ein, die "heikle" Wörter erkennt; bei vielen von ihnen – in der Schweiz beispielsweise blick.ch, tagesanzeiger.ch und 20min.ch – werden die Kommentare dazu noch von Personen überprüft. Und bei gewissen Themen wird die Kommentarfunktion schon gar nicht eingeschaltet.
"Süddeutsche": Kommentare nur noch im "Forum"
Trotzdem sind Kommentarspalten oft kein Aushängeschild für Medienmarken. Deshalb kommen neue Strategien zum Zug. Sueddeutsche.de etwa hat Anfang Jahr grundlegend umgestellt. "Wir wollen künftig auf andere Weise als bisher mit Ihnen ins Gespräch kommen", schrieb Daniel Wüllner, Redakteur für den Leserdialog – und kündigte an, dass es keine Kommentarfunktion mehr unter den einzelnen Artikeln gebe. Dafür werden nun bei der "Süddeutschen" unter "Ihr Forum" jeweils zwei oder drei "grosse Themen des Tages" mit dem Publikum diskutiert.
Speziell ist die Kommentier-Regelung beim deutschen Online-Recherche-Magazin "Krautreporter", das seit Oktober 2014 existiert und durch Crowdfunding finanziert wurde: Hier kann man kostenlos alle Inhalte lesen, doch wer kommentieren oder auch nur die Kommentare lesen will, muss – kostenpflichtiges – Mitglied sein. Ein Ansatz, der in Zusammenhang mit den mehr und mehr aufkommenden Paywalls durchaus bedenkenswert ist.
Bei der deutschen "Welt" hingegen geschieht, wovon wohl viele Kommentar-Freischalter träumen: Die Administratoren reagieren mit Ironie oder Spott – allerdings weniger bei den Online-Kommentaren und mehr auf Facebook. Beim Artikel über den Rapper Kollegah, der nach einer Schlägerei 46’000 Euro bezahlen musste, damit das Verfahren eingestellt wird, kommentierte etwa jemand " Und Edathy kommt mit 5000€ davon. (Kopfschüttel)". Worauf "Die Welt" antwortete: "Äpfel und Birnen haben angerufen. Sie finden deinen Vergleich seltsam." Zwar haben derartige Reaktionen von Redaktionen viele Fans (mit einem eigenen Facebook-Auftritt: "Fans des gleichgeschaltet-ironischen Journalistenzirkels"), doch Konrad Weber von SRF News steht ihnen kritisch gegenüber: "Es wirkt, als ob die Redaktion das Publikum nicht ernst nähme und vom Grundsatz ausgehe, der Journalist habe Recht und wisse alles. Das vergrössert das Misstrauen gegenüber den Medien."
Vorbilder statt Trolle hätscheln
Eine weitere Strategie im Umgang mit Online-Kommentaren setzt auf Vorbilder: "Gute" Kommentare und Inputs werden hervorgehoben. So hat etwa tagesanzeiger.ch die "Empfehlung der Redaktion" eingeführt, wie Christian Lüscher, Leiter Leserforum/Social Media "Tages-Anzeiger" erklärt: "Seither gewichten wir gute Kommentare prominenter." Bei watson.ch gibt es neu die Rubrik "User des Tages". "Oft gilt ja die ganze Aufmerksamkeit den Trollen, man diskutiert über sie", sagt Philipp Meier, zuständig für Social Media und Redaktor: "Mit dem "User des Tages" stellen wir positive Beispiele und konstruktive Kritik in den Mittelpunkt."
Bei watson muss sich registrieren – allerdings nicht mit Klarnamen – und jeweils einloggen, wer kommentieren will. "Das fördert die Qualität", so Meier, "aber die Anzahl der Kommentare ist dadurch geringer." So tröpfeln denn an diesem Nachmittag auch eher spärlich Reaktionen auf Artikel herein – das mag auch daran liegen, dass erstens Freitag ist und zweitens die gerade aktuellen Themen nicht allzu stark bewegen: das Kind von Putins Freundin, die Forderung nach einer tabakfreien Welt bis 2040 und eine Initiative, die verlangt, dass Krankenkassen Fitnesstrainings bezahlen. Adrian Eng, als Chef vom Dienst zuständig für die Freischaltung, kann alle eintreffenden Kommentare schnell und problemlos freischalten.
Das sei häufig der Fall, so Eng, in den Bereichen Sport, Digital und Unterhaltung eigentlich immer. Heikler werde es bei In- und Auslandthemen, bei polarisierenden Themen wie Migration, Asyl, IS: "Die meisten Kommentare, die ich nicht freischalte, sind rassistisch. Es ist mühsam, die ellenlangen Texte von Rassisten genau zu lesen, um zu sehen, ob sie etwas enthalten, was wir nicht tolerieren." Mühsam allerdings nur der Zeit wegen, die es brauche, denn: "Es setzt mir nicht zu." Grundsätzlich seien die Kommentierenden bei watson "gemässigt", hätten eine gute Diskussionskultur. Bloss: Wenn das watson-Publikum wächst – und das ist ja das Ziel – wächst auch die Community und verändert sich. "Das ist das Dilemma", sagt Eng.
"Kundenpflege" wird für alle wichtig
Laut Philipp Meier kommen bei watson täglich rund 1000 Kommentare herein, alle werden von einem Redaktionsmitglied gelesen und etwa 85 Prozent davon werden freigeschaltet. Und die Autorinnen und Autoren sind dazu angehalten, die Kommentare zu beobachten und vor allem mit den Kommentierenden mitzudiskutieren – noch, so Meier, geschehe dies aber zu wenig oft. Es sei aber wichtig. Einerseits, um Input für Folgegeschichten zu erkennen: Welche interessanten neuen Themen erscheinen in den Kommentaren? Zum anderen, weil es um die Treue der User geht: "Viele Leute suchen sich heute ihre News via Social Media, deshalb ist für uns die Kundenpflege wichtig. Die Leute sollen zu watson kommen und dort, weil sie anders eingebunden werden, auch bleiben", sagt Meier: "Journalismus 2.0 geht viel mehr auf Austausch aus."
Die Beteiligung an diesem "Austausch" kommt im Rahmen der Konvergenz unweigerlich auf die Journalistinnen und Journalisten zu. Sie wird möglicherweise bald zum Berufsbild gehören – sei es unter dem Stichwort "Kundenpflege" oder mit dem Argument, Medienschaffende dürften sich nicht mehr dozierend von oben an ihr Publikum wenden. Deshalb wird es Zeit, dass sich nicht nur diejenigen, die Online-Kommentare betreuen, mit diesem Thema auseinandersetzen.
P.S.: In der (geschlossenen) Facebook-Gruppe "Online-Kommentare: Wie weiter" diskutieren Schweizer Medienschaffende über das Thema.
* Friemel, Thomas N. & Dötsch, Mareike (2015). Online Reader Comments as Indicator for Perceived Public Opinion. In: Martin Emmer & Christian Strippel (Hg.): Kommunikationspolitik für die digitale Gesellschaft (S. 151-172).
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