Warum meine #MeToo-Recherche sterben musste und was das über unsere Branche aussagt.
Von Miriam Suter
Diese Geschichte beginnt mit Euphorie und endet mit Ernüchterung. Sorry für den Spoiler. Es ist eine Geschichte über das Selbstverständnis von Journalismus und darüber, wie wir innerhalb unserer eigenen Branche dafür sorgen, dass Machtmissbrauch weiterhin aufrechterhalten wird.
Aber von vorn. Letzten Sommer umklammerten meine verschwitzten Hände im Zürcher Club Helsinki aufgeregt ein Glas Prosecco. Ich trinke eigentlich keinen Prosecco mehr, weil ich das Zeug nicht mehr vertrage. Aber leider hilft Prosecco nach wie vor am besten gegen Nervosität und ich war sehr nervös: Ich erhielt ein Recherchestipendium vom Reporter-Forum und das freute nicht nur mein Ego, sondern auch mein Sparkonto. Das Geld sicherte mir die Zeit, die ich noch brauchen würde, um eine Geschichte über einen #MeToo-Fall eines Chefredaktors bei einem Schweizer Medium zu Ende zu bringen. Jedenfalls war das mein Plan.
Einschüchterung durch Vorgesetzten
Ich führte vom Ende des Sommers an bis tief in den Winter Gespräche, verschickte kryptische SMS-Nachrichten und erhielt Tipps aus Ecken, aus denen ich keine Unterstützung erwartet hätte. Ich war mir sicher, dass ich die Recherche abschliessen und die Geschichte veröffentlichen kann: Es gab interessierte Medien, die sie bringen würden, und ich hatte genügend Quellen, deren Aussagen sich unabhängig voneinander zu fast hundert Prozent deckten.
Die Sache war wasserdicht – theoretisch. Aber: Niemand wollte mit seiner Geschichte on the record gehen, geschweige denn mit Namen für seine Aussagen hinstehen, so gross war die Einschüchterung durch den betroffenen Vorgesetzten.
Je länger die Recherche andauerte und mit je mehr Menschen ich sprach, umso dichter spann sich das Netz der Erkenntnis für mich: Der Schweizer Journalismus ist nicht der Wachhund der Gerechtigkeit, der er gerne wäre. «Das weiss man doch längst, da sprechen ja alle darüber», sagten manche Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich über die Geschichte sprach. Oder auch: «Ich würde mich nicht mit dem anlegen, der könnte dich vernichten, wenn du die Story machst.»
Es kann nicht sein, dass wir ständig nur denjenigen ausserhalb unseres Gärtchens auf die Finger klopfen.
Und plötzlich fingen die ersten Quellen an abzuspringen. Sich nicht mehr zu melden. Ihre Aussagen zurückzuziehen. Auf meine Nachfrage hiess es zum Beispiel, dass man Angst habe. Dass man sich das Ganze nochmals überlegt habe und halt doch sehr gerne in dieser Branche arbeite und den Ruf nicht verlieren wolle und dass man ja eigentlich, wenn man es sich genau überlege, selber sogar von der ganzen Sache profitiert habe.
Sich ja nichts verspielen
Ich wartete ab, gab meinen Quellen Zeit, sagte, dass ich sie verstehe und dass sie sich doch melden sollen, falls sie es sich doch nochmals anders überlegen sollten. Bis heute hat sich leider niemand dazu entschieden. Ich war nie wütend auf meine Quellen, ich bin es bis heute nicht. Ich kann niemandem übel nehmen, dass er sich selbst am nächsten steht und aus Selbstschutz handelt. Im Gegenteil, ich verstehe es sogar: Wer in einer Branche Journalist oder Journalistin wird, in der Grenzüberschreitungen und Machtmissbräuche durch Vorgesetzte toleriert, kleingeredet oder sogar selbst begangen werden, überlegt es sich zwei Mal, öffentlich darüber zu sprechen. Man will sich ja nichts verspielen, und die unzähligen und unbezahlten Praktika sollen ja nicht umsonst gewesen sein.
Aber ich begann mich zu fragen, wofür wir denn alle Journalistinnen geworden und geblieben sind und was Journalismus für uns bedeutet. Wenn wir Dinge akzeptieren und kleinreden, die vor unserer eigenen Haustür geschehen und für die wir jeden CEO sofort wochenlang auf die Frontseiten aller Zeitungen schreiben würden. Natürlich, Journalismus läuft nicht immer so ab wie im Film «Spotlight», den ich mir übrigens immer dann anschaue, wenn ich überlege, alles hinzuschmeissen und stattdessen Bademeisterin zu werden.
Trotzdem: Als Journalisten müssen wir bedenken, was für ein Klima wir in unserer eigenen Branche kultivieren. Es kann nicht sein, dass wir ständig nur denjenigen ausserhalb unseres Gärtchens auf die Finger klopfen. Einen starken Anfang machte das Team um die «Tages-Anzeiger»-Journalistin Simone Rau mit der Recherche zu #MediaToo und sexualisierter Belästigung von Journalistinnen und Journalisten innerhalb und ausserhalb des Jobs. Es ist 2019 und kurz vor dem Frauenstreik sind die feministischen Forderungen laut und deutlich. Ich habe das Gefühl, als würde die Welt um mich herum nur so vibrieren vor lauter Systemkritik. Und es ist Zeit, dass auch der Schweizer Journalismus anfängt zu zittern.
Letzten Sommer erhielt die freie Journalistin Miriam Suter ein Recherchestipendium vom Reporterforum Schweiz.
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24.06.2019