Das Bundesgericht spricht einer Basler Journalstin in einem konkreten Fall das Zeugnisverweigerungsrecht ab. "Diese harte Linie des Bundesgerichts schadet dem Journalismus", sagt Dominique Strebel von investigativ.ch. "Ein Ermessensentscheid", kommentiert Peter Studer. Folgend beide Einschätzungen.
Ein Ermessensentscheid
Von Peter Studer
Worum geht es? Am Anfang stand eine Verfügung der Staatsanwaltschaft Basel gegen die Journalistin X, die ein farbiges und detailliertes Porträt über den Drogenhändler "Roland" in der Basler Zeitung publiziert hatte. Der Staatsanwalt befahl X, als Zeugin gegen den Drogenhändler "Roland" auszusagen; ihr stehe kein Zeugnisverweigerungsrechtgemäss Art. 28a [Quellenschutz]zu.
Vom Staatsanwalts bis ans Bundesgericht, ja bis nach Strassburg
X rekurrrierte an den Appellationsgerichtspräsidenten Basel. Dieser hatte X das Zeugnisverweigerungsrecht dann doch zugestanden. – Schliessslich wandte sich der Staatsanwalt an das Bundesgericht. Dieses gab ihm recht. Mit dem Bundesgerichtsentscheid vom 31. 1. 2014 lebt die Aussagepflicht der Journalistin gemäss der anfänglichen Verfügung der Staatsanwaltschaft wieder auf. – Die Journalistin muss also aussagen, oder sie kann ihren aussergesetzlichen Widerstand anmelden und die Strafe auf sich nehmen – zumal dann, wenn sie "Roland" zugesichert hatte, nicht gegen ihn Zeugin zu sein (Journalistenkodex, Richtlinie 6.1. "Redaktionsgeheimnis"). Der Schweizer Presserat betonte in dieser Richtlinie selbstbewusst, die ethische "Berufspflicht" des Quellenschutzes gehe "weiter als das gesetzliche Zeugnisverweigerungsrecht".
Der Weiterzug an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte EGMR in Strassburg (NZZ vom 21. 2. 2014) hindert die Rechtskraft des Bundesgerichtsurteils nicht. Würde der EGMR nach längerer Zeit – er ist auf Jahre hinaus stark überlastet – zugunsten von X entscheiden, der Aussagebefehl gegen X verletze den Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Freiheit der Meinungsäusserung)? Dann könnte X ein Revisionsgesuch gegen das Bundesgerichtsurteil stellen. Und möglicherweise eine Entschädigung verlangen.
Wie ist das Bundesgerichtsurteil einzuschätzen?
Der Quellenschutz des Schweizer Strafgesetzbuchs (Art. 28 a StGB) ist erst vor 15 Jahren auf Druck des EGMR eingefügt worden. Berufsjournalisten können das Zeugnis über Umstände und Inhalt ihrer Informationen verweigern, ohne dass sie dafür bestraft werden dürfen. Richtigerweise hat Strassburg dieses Zeugnisverweigerungsrecht immer als Pfeiler der Medienfreiheit dargestellt – können Journalisten ihre Quellen nicht schützen, werden ihnen keine heiklen Informationen mehr anvertraut, und die Aufgabe der Medien, "Wachhunde der Demokratie" zu sein, ist durchkreuzt. Allerdings hat das Schweizer Parlament, pikiert durch unwillkommene journalistische Investigationen, Ausnahmen vom Quellenschutz festgeschrieben: Verständliche (wenn das Zeugnis erforderlich ist, um Leben etwa von Entführungsopfern zu schützen) und weniger verständliche (andere Verbrechen mit Mindeststrafen von drei Jahren und eine Vielzahl teils geringer Rechtsverstösse). "Der Richter" kann das Zeugnisverweigerungsrecht dann im Einzelfall aufheben. Genau das hat das Bundesgericht hier getan.
Das oberste Tribunal in Lausanne hat sich den Entscheid nicht leicht gemacht. X hatte im Bericht "Zu Besuch bei einem Dealer" erzählt, wie "Roland" seit 10 Jahren mit "Gras, Haschisch und Blütenstaub" handelt, womit er "jährlich 12‘000 Franken verdiene". Die gesetzliche Liste von Ausnahmen des Quellenschutzes nennt unter anderem schwere Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz. In mehreren Bundesgerichtsentscheiden ist der Handel mit weichen Drogen als schwer bezeichnet worden, wenn er einen Gewinn von mehr als 10‘000 Franken einbringt. Damit wäre "Roland" aufgrund des Artikels von X des schweren Verstosses "dringend verdächtig", der Zeugnisbefehl im Vergleich der Interessen "verhältnismässig". Denn die Aussage von X bleibe hier "das einzige erfolgsversprechende Beweismittel". (Im früheren Leitentscheid "Turina", wo es um einen NZZaS-Artikel über tödlichen Operationsfehler am Universitätsspital Zürich ging, schützte das Bundesgericht 2006 den Journalisten vor der Zeugnisabgabe, weil der Fall weitestgehend aufgeklärt und die Zeugnispflicht deshalb "unverhältnismässig" sei. BGE 132 I 181).
Weshalb wehrt sich die "Basler Zeitung" zugunsten ihrer Journalistin so hartnäckig? Liess sich das nationalkonservative Blatt hier ausnahmsweise vom "Zeitgeist" leiten, der den Umgang mit "weichen Drogen" für weniger strafwürdig und das Zeugnis hiezu für entbehrlich hält? Oder bezweifelt der Verlag die "10‘000 Franken Grenze" für einen "schweren Fall" allgemein, den "Strafverfolgungsnotstand" im "Fall Roland" konkret? Das Bundesgericht fällte einen Ermessensentscheid. Ein krasser Verstoss gegen die Meinungsäusserungsfreiheit ist es sicher nicht.
Peter Studer ist Publizist und Anwalt. Ehemaliger Chefredaktor des Tages-Anzeigers und danach von SF DRS. Ehemaliger Präsident des Presserates.
Fatales Signal des Bundesgerichts
Von Dominique Strebel, investigativ.ch (Übernahme von investigativ.ch)
Der journalistische Quellenschutz ist löchrig. Zwar gilt er bei der Grosszahl der Strafdelikte, doch in wichtigen Fällen haben die Gerichte viel Spielraum. Und den nützt das Bundesgericht in seinem neuesten Urteil zu Ungunsten der Medien und zu Gunsten der Strafverfolger.
Eine Journalistin der BaZ muss den Namen eines Hanf-Dealers nennen, den sie porträtiert hat. Sie könne sich nicht auf den Quellenschutz der Journalisten berufen. Dies der Entscheid des Bundesgerichts von Ende Januar 2014, mit dem es einen Entscheid des Appellationsgerichts des Kantons Basel-Stadt aufhob. Die BaZ wird das Urteil vor dem Menschenrechtsgerichtshof in Strassburg anfechten.
Viele Journalisten und die Öffentlichkeit reiben sich die Augen. Taugt der Quellenschutz der Journalisten gar nichts mehr, wenn eine Journalistin selbst bei einem Bagatellfall wie einem nebenberuflichen Handel mit weichen Drogen das Zeugnis nicht verweigern kann?
Zur Beruhigung vorab: Der journalistische Quellenschutz taugt auch in Zukunft in aller Regel immer noch. Bei der Grosszahl aller Delikte des Strafgesetzbuches können Journalisten auch nach diesem Bundesgerichtsentscheid getrost das Zeugnis verweigern und die Quelle schützen. So zum Beispiel bei schwerer Körperverletzung, Tötung auf Verlangen, Diebstahl, Betrug, Veruntreuung, Amtsgeheimnisverletzung – ja selbst bei Erpressung, bandenmässigem Raub oder Geiselnahme (sofern das Opfer nicht in Lebensgefahr gebracht wird). Und auch bei Hanfhandel mit einem Jahresgewinn unter 10.000 Franken – dann nämlich gilt das Delikt nicht als qualifizierte Wiederhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz.
Die Regelung ist nämlich so: Grundsätzlich können sich Journalisten auf Quellenschutz berufen – ausser es ist ein Delikt, das ausdrücklich im Ausnahmekatalog von Art. 28a StGB genannt wird. In diesem Ausnahmekatalog stehen zur Zeit 25 Tatbestände – von den Rechtsgütern her unbestrittene Delikte wie Mord, Tötung, Menschenhandel, aber eben auch Zweifelsfälle wie die qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Abs. 2 lit. C BetMG) oder Korruption (Vorteilsgewährung Art. 322quinquies und Vorteilsannahme Art. 322sexies).
Bei diesen 25 Tatbeständen also, die in Art. 28a genannt sind, gilt der Quellenschutz nur, wenn das Gericht es will. Gerichte müssen in diesen Fällen abwägen, ob nun das Interesse an Information (Medienfreiheit) das Interesse der Strafverfolger überwiegt. Das ist ein erheblicher Ermessensspielraum.
Und genau diesen Spielraum nützt das Bundesgericht nun zu Ungunsten der Medien und zu Gunsten der Strafverfolger. Es ermutigt die Strafverfolger und die Gerichte, selbst bei Grenzfällen wie Hanfhandel knapp über der Schwelle von 10.000 Franken Jahresgewinn oder Korruption die Strafverfolgungsinteressen über die Medienfreiheit zu stellen. Das ist im vorliegenden Fall bei einem Cannabisdealer passiert – es könnte aber genauso gut bei einem Bestechungsfall passieren. Wie wichtig aber gerade die Medien bei der Aufdeckung von Korruption sind, hat eben erst der Seco-Fall gezeigt. Dieser Entscheid des Bundesgerichts führt zu grosser Rechtsunsicherheit und wird weit über diesen Einzelfall hinaus Wirkung haben: Die Medien werden sich zwei Mal überlegen, Recherchen auch nur in der Nähe solcher Themenbereiche anzustellen. Ist das ein Gewinn?
Auch wenn man die Argumentation des Bundesgerichts im Detail ansieht, überzeugt sie wenig. Das Bundesgericht gesteht zwar ein, dass «Rolands» Hanfhandel «vergleichsweise wenig schwer wiegt», verweigert den Quellenschutz aber trotzdem, weil «Roland» bereits seit 10 Jahren dealt und …immerhin 12.000 Franken pro Jahr verdient». Zudem sei er «Teil einer gross angelegten Verkaufsorganisation». Deshalb sei das Interesse an einer Strafverfolgung gross.
Das Interesse an einer Medienberichterstattung ist gemäss Bundesgericht hingegen klein, da sie einfach nur die Basler Cannabis-Szene habe darstellen wolle. Sie habe zudem den betriebenen Drogenhandel verharmlosend als quasi normales Gewerbe unter Kollegen dargestellt, schreiben die fünf Bundesrichter. So biete die Basler Zeitung dem «Dauerdelinquenten eine kostenlose Werbeplattform». Dies könne als Einladung verstanden werden, es ihm gleich zu tun.
Vor allem die beiden letzten Argumenten sind wenig überzeugend, denn man kann da auch ganz anders argumentieren: Nach den eigenen Worten des Bundesgerichts braucht es «ausserordentliche Umstände, die öffentliche oder private Interessen gefährden» (BGE 132 I 181 E. 4.5 S. 193), damit die Justiz den Quellenschutz der Journalisten aufheben kann. Frage: Ist dieser Cannabis-Dealer ein ausserordentlicher Fall? Wäre die Schweiz (oder auch nur Basel) viel sicherer, wenn der Tatverdächtige überführt werden könnte? Trägt die Überführung des Verdächtigen wesentlich zur Volksgesundheit bei? Würde irgendein Medium darüber berichten, wenn der fragliche Dealer verurteilt würde? Ist es mehr als ein Dutzendfall? Die spontane Antwort auf all diese Fragen lautet: Nein. Betäubungsmittelkleinkram-Business as usual. Weit und breit keine ausserordentlichen Umstände ersichtlich. Das Strafverfolgungsinteresse ist also vergleichsweise gering – vor allem auch, wenn man es mit den andern Delikten wie Mord, Menschenhandel etc. vergleicht, bei denen der Quellenschutz aufgehoben werden kann.
Demgegenüber ist der Nutzen der Berichterstattung der BaZ beträchtlich: Man reibt sich die Augen, wie verbreitet und normal mit Cannabis gedealt wird. Man erhält einen überraschenden Einblick in eine versteckte Welt: Türsteher, Schreiner, Informatiker beziehen beim Hanf-Dealer «Roland» Cannabis. Selbst ein Zahnarzt vertickt offenbar nebenbei Gras. Das löst bei den Lesern Erstaunen aus und regt zum Nachdenken an. Zentrale Wirkungen von gutem (Recherche-) Journalismus.
Setzt sich nun die harte Linie des Bundesgerichts durch, erfährt man von diesen und ähnlichen Welten nichts mehr aus der Zeitung, weil Journalisten zu diesen Themen nicht mehr recherchieren und mögliche Informanten keine Auskunft mehr geben. Das ist ein beträchtlicher Verlust für die Gesellschaft (und für die Strafverfolger…).
investigativ.ch begrüsst den Entscheid der BaZ, das Urteil in Strassburg anzufechten.
Dominique Strebel ist Jurist, MAZ-Studienleiter und Ko-Präsident von investigativ.ch.
Ihr Kommentar