"Wie überlebt journalistisches Feuer in den Realitäten des journalistischen Alltags?"
Von Vera Bergen, Redaktorin bei Radio Sunshine
Vera Bergen, Redaktorin bei Radio Sunshine, stellt gleich klar: sie ist mit Herz und Seele Journalistin. "Ich lebe meinen Traumberuf". Trotzdem sei die Arbeit als Radiojournalistin nicht immer traumhaft. Und darüber sprach die junge Frau am ersten Recherchetag des MAZ. Vera Bergen beschrieb anschaulich, wie die Rahmenbedingungen bei der täglichen Redaktionsarbeit immer etwas enger werden. Es sei ihr wohl bewusst, dass wir in der Schweiz im globalen Vergleich "auf sehr hohem Niveau jammern". Bergen bleibt optimistisch: "Ich stelle mich den aktuellen Gegebenheiten und versuche Radio mit Niveau zu machen".
Im Folgenden die Passage aus Vera Bergens Rede, in welcher sie die Veränderungen bei den Rahmenbedingungen schildert.
"Zu Beginn meiner Zeit bei Radio Sunshine war die Redaktion mit acht Vollzeitstellen für einen kleinen Privatradiosender nicht schlecht besetzt. Täglich hatten wir eine Früh- und eine Spät-Nachrichtenschicht, zwei Reporter und einen sogenannten Tageschef, der den Tag plante, die Themen verteilte und Ansprechpartner für alle war, zur Verfügung. Mit zwei Reportern war es sogar möglich, dass ich mal einen Tag lang Zeit erhielt um über Neonazis in der Zentralschweiz zu recherchieren. Und da war mein journalistisches Feuer, um bei diesem Begriff zu bleiben, regelrecht am lodern. Den Dingen auf den Grund zu gehen, Menschen zu befragen, alle Mittel der Recherche einzusetzen, und Neues herauszufinden, ich liebe es noch heute. Ein solcher Recherchetag war jedoch schon eher die Ausnahme.
Grundsätzlich musste eine Reporterin, ein Reporter bei Radio Sunshine vor der Übernahme durch Radio Central jeweils am Mittag und am Abend oder am Morgeneinen Beitragsplatz füllen. Dabei lernte ich schnell, dass bei einer Medienkonferenz oder auch bei einer Agenturmeldung die Fakten meist nicht nachgeprüft werden können. Dies aus Zeitmangel, aber auch aus Mangel an zweiten Quellen. Seit in der Schweiz die zweite Nachrichtenagentur – AP – nicht mehr existiert, müssen Journalisten meist auf die SDA allein vertrauen.
Bei lokalen Medienkonferenzen gilt also die SDA-Meldung als zweite Quelle zu meinen eigenen Erkenntnissen, die ich vor Ort erfahren habe. Bei internationalen Themen habe ich meist keine zweite Quelle um einen Fact-Check zu machen. Man kann natürlich auf der Internetseite anderer Medien nachschauen. Aber oft ist es leider so, dass sich diese Quelle auf dieselbe Meldung bezieht, die mir auch vorliegt.
Wir alle leiden unter dem Zeitmangel und darunter leidet auch die Recherche beziehungsweise der Fact-Check und die journalistische Sorgfalt. Meist vertrauen wir also auf nur eine Quelle oder versuchen die Problematik damit zu umgehen, dass zur offiziellen Quelle noch eine Partei oder eine Nicht-Regierungs-Organisation befragt wird. Werden diese Quellen jedoch beispielsweise bis am Mittag nicht erreicht, dann muss der Beitrag auch mal ohne diese Gegenrecherche veröffentlicht werden.
Auch wenn ein Thema viel Sprengstoff birgt und eine fundierte Recherche unbedingt nötig wäre, zählt oft einfach die Deadline. Etwas feiner ausgedrückt, könnte man diese Problematik "Zeitdruck oder wirtschaftliche Zensur versus journalistische Sorgfalt" nennen.
Noch schwieriger wurde das journalistische Arbeiten und Recherchieren seit Radio Sunshine von Radio Central übernommen und unter anderem aus wirtschaftlichen Gründen zwei Vollzeitstellen gestrichen wurden.
Eine Vollzeitstelle wurde durch ein Volontariat ersetzt, was jedoch vor allem in den Anfangszeiten keine Erleichterung sondern eher eine Zusatzbelastung für die Festangestellten war. Über den Sommer 2012 arbeiteten wir also mit jeweils einem Reporter, einer Nachrichten-Früh- und einer Nachrichten-Spätschicht und dem Tageschef. Um den Tagesreporter zu entlasten, musste der oder die Tageschefin neben ihren Aufgaben als Tageschefin auch die Aufgaben eines zweiten Reporters übernehmen. Auch die Redaktoren, die auf Nachrichten-Schicht waren, mussten jeweils bei unvorhergesehenen Situationen, was ja beim Journalismus öfter vorkommt, unterstützend zur Seite stehen. So konnte sich kaum eine Schicht wirklich auf ihre Kernthemen konzentrieren.
Auch dauerten die Schichten um die Beitragsplätze zu füllen, meist länger. Durch die vielen, notabene unbezahlten, Überstunden und 6-Tage-Wochen nahm die Erschöpfung stetig zu, die Konzentration bei der Arbeit ab und die Fehlerquote wiederum zu. Um es erneut in einen Vergleich zu bringen, würde ich diese Problematik "Müdigkeit versus Konzentration" nennen. Es passt aber auch die Beschreibung "Personalmangel versus Beitragsplätze füllen" dazu. Oder noch plakativer: "Lust versus Frust".
In dieser Übergangsphase haben die neuen Inhaber für Radio Sunshine ein völlig neues Profil erarbeitet. Dieses beinhaltet eine neue Zielgruppe, eine neue Sendestruktur und neue Arbeitsschichten. Der Tageschef wurde gestrichen, dafür haben wir nun wieder täglich zwei Reporter. Der Wegfall des Tageschefs bedeutet, dass die Person, welche die Nachrichten-Schicht macht, nun zusätzlich die Arbeiten, des Tageschefs übernehmen muss. Dazu gehört die Tagesplanung, Mails checken und verarbeiten, Telefongespräche führen, Interviews aufnehmen und so weiter. Dies kommt zur eigentlichen Arbeit in der News-Schicht, dem Nachrichten schreiben und auf dem Sender präsentieren noch dazu.
Weiter ist auch die Frequenz erhöht worden. Nun werden die Nachrichten praktisch während des ganzen Tages im Halbstundentakt gesendet. Zu den Nachrichten und den Regionalnachrichten kommt noch der sogenannte Newsroom, wo präsentiert wird, was in den Online-Medien läuft. Um die vorgeschriebenen Gefässe im engen Zeitraster und bei der höheren Sende-Frequenz überhaupt füllen zu können, ergaben sich zwangsläufig folgende Effekte: Es können weniger neue eigene Nachrichten geschrieben und präsentiert werden, was die Vielfalt auf dem Sender mindert. Die SDA-Meldungen können noch weniger gegen gecheckt beziehungsweise überprüft werden und es passieren mehr Fehler bei der Präsentation, weil zugelieferte Nachrichten nicht auf den eigenen Schnabel angepasst werden können beziehungsweise weil die Nachrichten vor dem Live-Lesen auf dem Sender manchmal gar nicht mehr durchgelesen werden können.
Um den Qualitätsstandart zu halten, ist es zurzeit so, dass alle Redaktorinnen und Redaktoren von Radio Sunshine täglich mehrere Stunden zu viel arbeiten. Es gibt aber auch positive Entwicklungen: Durch die neuen Eigentümer haben wir beispielsweise neu auch die DPA – die deutsche Presseagentur- die uns auch Nachrichten, Korrespondentenschaltungen oder zumindest Originaltöne liefert. So sind wir wiederum vor allem bei Auslandsmeldungen schneller als die SDA und zudem mit Schaltungen zu Korrespondenten für den Hörer wieder interessanter. Noch immer sind wir aber immer noch nur 7 Personen in der Redaktion, welche alle am Limit laufen. Ich benenne diese Problematik "Volle Sendegefässe versus Kapazitäts-Mangel"."
Vera Bergen (28), Co-Redaktionsleiterin beim Zentralschweizer Radiosender Sunshine, 2011 Abschluss Masterstudium in Journalismus MAZ / Hamburg Media School.
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