Medientrends 2016 – 18.12.2015

Das langsame Verschwinden des Chefredaktors

Ein Chefredaktor alleine bei Tamedia gleich für drei profilierte Titel. Und ein neues Leitungsmodell bei der Blick-Gruppe. Die Schwächung der Chef-Rolle verändert auch die redaktionelle Produktion.

Von Philipp Cueni

Aus drei mach einen: bei Tamedia übernimmt der Chefredaktor der "Sonntagszeitung" auch die Leitung des "Tages-Anzeigers" und des "Magazins". Nur noch ein Chef für drei profilierte Titel? Ist der Chefredaktor denn gar nicht mehr so wichtig? Denn es liegt auf der Hand: der neue Redaktionsleiter wird die drei Titel nicht gleich prägen und führen können, wie je ein klassischer Chefredaktor. Und eine Person wird kaum drei verschiedene eigenständige Profile entwickeln können.

Das Berufsbild des Chefredaktors verändert sich massiv. Oder wird gar das Ende des klassischen Chefredaktors eingeläutet? Zumindest der Medienökonom Björn von Rimscha (früher Uni Zürich, jetzt Uni Mainz) stellt das so fest: "Der Chefredaktor, der dem Ganzen eine Linie gibt, der ist der Kommerzialisierung und der Konzentration zum Opfer gefallen."

Bei der "Blick"-Gruppe ist die Leitung von "Blick", "Blick am Abend" und den beiden Onlineausgaben einer (Zweier-) Leitung übertragen worden. Bei der neuen Leitungsstruktur für alle "Blick"-Titel umfasst die Chefredaktionsgruppe insgesamt 10 Personen. Darunter weiterhin die Chefin für den "Sonntagsblick" und neu ein Chefpublizist, der allerdings keine Weisungskompetenz hat. Eine wichtige Rolle im Tagesgeschäft spielt die jeweilige Leitung des "Desk".

Das neue Modell beim Blick ist nicht einfach zu überblicken. Sicher scheint jedoch: Der bisherige alleinige "Blick"-Chef, in der Tradition gesellschaftlich und politisch eine einflussreiche Position mit Prestige, gibt es so nicht mehr.

Bei der "Südostschweiz" musste die Verlagsleitung die Nachfolge von David Sieber bestimmen, der als Chefredaktor das Blatt stark mit seiner Handschrift geprägt hatte. Und der Verlag wählte ein anderes Modell: Die Somedia bestimmte eine Chefredaktorin, die – wie sie selbst sagt – noch nie einen Artikel verfasst und noch nie in einer Zeitung gearbeitet hatte. Sie war vorher bei Somedia Chefin des Radios.

Die Überlegungen in Chur waren: Die Leiterin des grössten "Teilmediums" sollte vor allem eine Klammerfunktion ausüben bei der verstärkten konvergenten Zusammenarbeit von Radio, TV, Online und Zeitung. Und diese Funktion erfüllt eben die Neue durch ihre bisherigen Erfahrungen.

Redaktionsmanager

Die verschiedenen Beispiele auf einen Nenner gebracht: Der Chefredaktor wird künftig zum obersten Redaktionsmanager einer Publikationsgruppe. Und damit verändert sich sein Tätigkeitsprofil massiv. Bisher war der traditionelle, klassische Chefredaktor die publizistische Leitfigur der Redaktion. Er ist der Kopf nach aussen, übernimmt Verantwortung und Haftung. Er prägt das Blatt mit seiner Person, mit seinen Texten, mit seinem Stil das Team zu führen, wie und wie breit er die publizistische Linie definiert.

Eine kreative Führung bedeute viel Präsenz in der Redaktion, gerade auch im Tagesgeschäft und damit sehr viel Zeitaufwand. Dies sagt ein ehemaliger Chefredaktor einer bedeutenden Tageszeitung. Ein anderer sagt, dass gerade beim Boulevard ein Chefentscheid mit klarer Haltung wichtig sei. Diese traditionellen Führungsstrukturen werden sich ändern.

Aber natürlich gibt es schon länger andere und erfolgreichere Modelle als jenes des prägenden Chefredaktors – etwa in der kollektiven Struktur bei der WOZ. Und längst sind nicht mehr alle Redaktionschefs im Tagesgeschäft präsent, sondern eher in eine Management- und Repräsentationsfunktion eingebunden.

Contentmanager

Bei den neuen Modellen wird die Leitung anonymer. Das kann zu Beliebigkeit, Profilschwäche, aber möglicherweise auch zu höherer Vielfalt führen. Und es birgt die Gefahr, dass die Publikationen einer Gruppe alle gleich gestrickt sind, weil sie industrialisierter produziert werden.

Dass der Chefredaktor – oder eben die Chefredaktion – vermehrt zum Content- Manager wird, resultiert daraus, dass heute weitgehend Story-zentriert gearbeitet wird. Der Treiber und Taktgeber ist dabei oft das Internet, die Online-Publikation. Auch ein grosser Teil der Zeitungsproduktion wird künftig im Onlinedesk integriert sein.

Das zentrale Desk wird entscheiden, welche Geschichten weiter verfolgt und in welchen Kanälen sie wie realisiert werden. Das wiederum bestärkt die Tendenz, dass das publizistische Angebot einer Gruppe weniger vielfältig wird, sich die einzelnen Titel weniger unterscheiden. Und auch, dass die wichtigen redaktionellen Querköpfe so mehr Mühe haben werden, ihren Platz zu finden.

Gemäss dem Medienökonomen Rimscha braucht es die Handschrift des Chefredaktors nicht mehr, weil für viele Verlage nicht mehr die Positionierung im Mittelpunkt stehe, sondern die Reichweite. Dafür dürfe man möglichst nicht anecken und sollte möglichst viele Leute ansprechen. Die Zeitung sei nur noch der Ort, wo Nachrichten zusammengefügt würden, wo zu einem Thema Ja oder Nein gesagt werde. Diese Entwicklung sei das Resultat der Ökonomisierung der Medien und des Journalismus.

Dennoch lautet die Strategie vieler Medienhäuser eigentlich gerade umgekehrt: Ein Produkt müsse heute ein klares Profil haben und unverwechselbar sein, damit es sich vom Newsstrom abhebe und Erfolg habe. Ob die Entwicklung zum durchorganisierten Content-Management diesem Ziel dienlich ist, muss allerdings bezweifelt werden.


Der Journalist wird zur Hälfte Techniker

Nicht nur das Berufsbild des Chefredaktors, auch jenes des Journalisten würde sich massiv ändern. Zumindest sah das der Blogger Richard Gutjahr in seinem Referat am JournalismusTag.15 so. Gutjahr setzt sich stark mit dem digitalen Wandel der Medien auseinander. Und er meint, bei der zunehmend dominanten digitalen Vermittlung von Information müsse der Journalist etwa zur Hälfte auch Techniker sein. Oder aber der Techniker müsse auch Journalist werden. Diese Funktionen würden tendenziell zusammenwachsen.

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