Aktuell – 11.06.2013

Doris Leuthard: "Der Qualitätsverlust hängt mit dem Kostendruck zusammen"

Die Medienministerin Doris Leuthard über die Chance von Kooperationen zwischen SRG und Verlegern, die Monopolstellung von Medienhäusern, die Presseförderung und den Markt für private Parallelketten zur SRG.

Interview: Bettina Büsser und Philipp Cueni. Bilder: Marco Zanoni.

 

EDITO+KLARTEXT: Ihr Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) umfasst viele grosse Bereiche mit wichtigen aktuellen Themen. Welchen Anteil Ihrer Zeit können Sie Ihrer Arbeit als Medienministerin widmen?

Doris Leuthard: Die aktuellen medienpolitischen Geschäfte werden alle zwei Wochen am Rapport mit dem Bundesamt für Kommunikation besprochen. Allerdings steht die Medienpolitik derzeit nicht so sehr im Mittelpunkt wie etwa die Energie- oder die Verkehrspolitik, wo grosse Gesetzesvorlagen anstehen.

Medienpolitik ist eine öffentliche und oft emotional diskutierte Angelegenheit. Sie haben beim Streit zwischen SRG und Verlegern über die SRG-Online-Angebote entscheiden müssen und sind dabei den Verlegern nicht so weit entgegengekommen, wie diese gehofft hatten. Warum?

Wir haben nun eine Lösung gefunden, welche den Bedürfnissen unserer Zeit entspricht. Die Bedeutung des Internets im Medienbereich ist viel grösser als vor zehn Jahren, das Konsumverhalten hat sich entsprechend verändert – und damit auch die Ausgangslage der SRG. Wir haben den Bereich Werbung nicht angetastet, die wirtschaftlichen Interessen der Verleger wurden somit respektiert. Im publizistischen Bereich jedoch hätte es keinen Sinn gemacht, die bisherigen Beschränkungen der SRG aufrechtzuerhalten.

Das kann also schnell wieder ändern?

Nein, diese Konzession ist bis Ende 2017 in Kraft, dann steht sowieso die Gesamterneuerung der SRG-Konzession an. Mass­gebend ist, wie sich die Werbegelder entwickeln. Im Printbereich ist die Situation sehr angespannt, doch auch die SRG hat Verluste hinzunehmen. Wir verlieren immer mehr Werbeeinnahmen ans Ausland, damit ist niemandem gedient.

Haben Sie auch überlegt, die SRG angesichts der wirtschaftlichen Krise im Printbereich zu beschränken, um damit, wie Verlegerkreise hoffen, die Bedingungen für Print zu verbessern?

Die SRG hat einen Gesetzesauftrag. Zudem konkurrenziert sie mit Radio und Fernsehen nicht direkt den Printbereich. Angesichts des veränderten Konsumverhaltens wäre es falsch, wenn sie im Internet beschränkt würde. Viele Menschen informieren sich heute nicht mehr über ein Medium, sondern konsumieren News je nachdem, wo, wie und wann diese verfügbar sind. In diesem Strukturwandel müssen sich alle zurechtfinden. Das Tempo dieses Wandels und der Technologieentwicklung ist so rasant, dass die Situation für alle schwierig ist.

Sie teilen also die Idee nicht, es gehe dem Printbereich automatisch besser, wenn die SRG beschränkt wird?

Eine gute Qualität bei der Berichterstattung über alle Bereiche aufrechtzuerhalten ist teuer. Deshalb machen Kooperationen Sinn. Die SRG hat etwa ein wertvolles audiovisuelles Archiv, das die Online-Plattformen der Verlage nutzen könnten. Andere Möglichkeiten gibt es, wenn gewisse Bereiche gemeinsam organisiert und finanziert werden. Bei den Gesprächen habe ich beim Thema ­Kooperationen eine grosse Offenheit gespürt – verursacht natürlich durch den Kostendruck, aber auch im Bewusstsein, dass der Schweizer Markt klein ist und man zusammenrücken muss, um dem Druck von aussen standhalten zu können.

Braucht es die SRG, so wie sie heute ist, überhaupt noch?

Ja, unbedingt. Die Schweiz als Land mit vier Sprachregionen braucht diese mediale Klammerfunktion. Wenn die Aufgaben der SRG aufgeteilt würden, würde der Service Public-Gedanke geschwächt. Wir brauchen einen starken Player, der sich auch gegen die aus dem Ausland einstrahlenden Programme behaupten kann. Der Staat hat ein Interesse an einer neutralen, objektiven und multikulturellen Berichterstattung und sollte aus demokratiepolitischen Gründen am Kohäsionsgedanken festhalten, dem auch die SRG zugrunde liegt. Mit dem Gebührensplitting haben wir diesen Gedanken im regionalen Bereich aufgenommen.

Was halten Sie von der Idee, durch verbesserte Rahmenbedingungen eine sprachregionale private Radio- und Fernsehkette zu ermöglichen?

Der Markt ist zu klein. In der Privatradio-Landschaft gibt es eine grosse Vielfalt, und DAB löst auch das Problem der Frequenzknappheit. Für Privat-TV ist die Situation aus Kostengründen schwieriger. Es gibt aber auch hier Konkurrenz. Ich sehe keinen Handlungsbedarf. Die SRG zu schwächen würde primär die Tore für ausländische Anbieter noch mehr öffnen.

Die SRG ist im Dauerspagat zwischen Service public und Markt, zwischen Quotendruck und Qualität. Stimmt ihre Positionierung noch?

Primär entscheidet die SRG darüber, wie sie die Konzession umsetzt und sich positioniert. Sie steht auch unter Kostendruck und im Wettbewerb. Daher benötigt sie eine gewisse unternehmerische Freiheit. Der Bundesrat mischt sich auch nicht in die Programmgestaltung ein. Entscheidend ist, dass die SRG die Vorgaben der Konzession erfüllt. Dafür erhält sie ja Gebührengelder.

Der Bundesrat ist nicht der Meinung, die SRG-Sonderstellung müsse grundsätzlich überprüft werden, wie das die WEKO verlangt?

Nein. Wir überprüfen aber den Service public und fragen, was er heute und in ein paar Jahren im Licht der neuen Technologien und des veränderten Medienverhaltens bedeutet. Junge Menschen verstehen nicht, weshalb man Gebühren bezahlt. Das ist ein Problem. Deshalb braucht es eine Diskussion über die demokratiepolitische Bedeutung des Service public und über das staatliche Interesse an Information und Medienvielfalt.

Die WEKO schaut ja auch die Haushaltabgabe an. Diese ist heftig umstritten, haben Sie mit derart starkem Widerstand gerechnet?

Ja, das hat sich schon im Parlament abgezeichnet. Gewisse bürgerliche Parteien und SRG-kritische Stimmen haben die Debatte ­genutzt, um generell zu sagen: Das brauchen wir alles nicht, der private Bereich kann das ebenso gut oder viel besser. Insofern überrascht mich das nicht. Ich bin aber überzeugt, dass der Wechsel hin zur Haushaltabgabe richtig ist. Wir haben das Anliegen des Gewerbes, mit der Belastung sensibel umzugehen, aufgenommen, und die normalen Haushalte werden gegenüber heute aller Voraussicht nach entlastet.

Die Haushaltabgabe ist ein Teil der RTVG-Revision. Sie haben vorhin die rasante technische Entwicklung erwähnt. Damit ist eigentlich ein RTVG-Revisionsschritt schon wieder veraltet, wenn er abgeschlossen ist. Eine Sisyphus-Arbeit?

Unsere demokratischen Abläufe mögen mitunter etwas langsam sein. Aber es ist richtig, dass sich alle Interessierten zu Vorlagen äus­sern können und dass das Parlament darüber diskutiert. Es geht bei der Gesetzgebung um die Rolle des Staates. Wenn sich Technologie und Medienwelt verändern, bedeutet das noch nicht, dass der Staat sofort sein System anpassen muss. Er müsste einschreiten, wenn die Medienvielfalt oder die staatspolitischen Interessen gefährdet wären oder wenn staatliche Gelder zu falschen Effekten führen.

Die neue Medienkommission wäre so etwas wie eine Warngruppe, wenn so etwas geschieht?

Ja. Gerade in der Medienwelt, die sich schnell und stark verändert, braucht es solche Beobachter, die dem Bundesrat auch Empfehlungen abgeben können, etwa wenn es um Service public und die Konsequenzen der Medienentwicklung für den Staat geht. Ich verspreche mir von dieser Kommission eine Aussensicht.

Wenn man die Mitglieder der Medienkommission anschaut – sind das nicht eigentlich die üblichen Verdächtigen?

Nein, der Bundesrat hat darauf geachtet, dass die Kommission möglichst breit abgestützt ist.

Was uns gefehlt hat, ist einerseits ein "Digital Native" und andererseits die journalistische Basis.

Verschiedene Kommissionsmitglieder haben Erfahrungen mit Social Media, und Miriam Meckel untersucht neue digitale Kommunikationsformen aus wissenschaftlicher Sicht. Die journalistische Basis wird durch die Gewerkschafts- und Standesvertreter abgedeckt.

Die letzte grosse Mediendebatte im Parlament drehte sich um die Presseförderung und das Postulat Hans-Jürg Fehr. Studien, vom BAKOM 2010 in Auftrag gegeben, sagen: Es gibt hinsichtlich der demokratierelevanten Rolle der Medien Probleme bei der Vielfalt, bei der Relevanz der Themen und bei der Qualität. Hat sich die Situation seit damals eher akzentuiert oder nicht?

Sie hat sich akzentuiert. Die Monopolstellungen einzelner Verlage oder die Verschmelzung von Online- und Printredaktionen und damit die Gefahr einer Einheitsberichterstattung könnte in unserer Schweiz mit vier Sprachen und 26 Kantonen zu einem direktdemokratischen Qualitätsproblem führen. Deshalb reden wir mit Chefredaktoren und Verlegern und appellieren an ihre staatspolitische Verantwortung.

Das Parlament wollte anlässlich der Parlamentsdebatte über diese Studien, dass Sie auf diese Situation möglichst schnell auch mit einer Vorlage reagieren. Seitdem sind zwei Jahre vergangen.

Wir haben uns damals einen Zeitraum von vier Jahren gesetzt, in dem wir die Entwicklung beobachten und einen Bericht ausarbeiten. Wir können die Situation der Medienlandschaft nicht vom Thema Presseförderung trennen, das macht die Abklärungen komplexer.

Die Entwicklung habe sich akzentuiert, sagen Sie. In Bezug auf die demokratierelevanten Leistungen der Medien sind auch die Autoren des "Jahrbuchs Qualität" dieser Meinung. Muss man sich Sorgen machen?

Es gibt Experten, die der Meinung sind, die Qualität sei besser geworden, da die Ausbildung heute auf einem höheren Niveau ist. Der Standard bei der Ausbildung im handwerklichen Sinn des Metiers dürfte tatsächlich höher als früher sein. Anderseits fehlt es an der Zeit für die Recherche, am Platz für die Präsentation. Wer als Journalist zehn Dossiers betreuen und oft die Themenbereiche wechseln muss, kann die historische Entwicklung in einzelnen Bereichen nicht immer präsent haben. Das ist problematisch. Der Staat und die Bürgerinnen und Bürger haben ein Interesse daran, dass mit der Information auch Entwicklungen vermittelt werden. Dieser Qualitätsverlust hängt wiederum mit dem Kostendruck zusammen.

Stellen Sie das auch bei der Berichterstattung über Ihre Arbeit fest?

Die Personifizierung und die Zuspitzung nehmen zu. Wir stellen fest, dass oft Aussagen und vermeintliche News unseren Ämtern nicht mehr zur Verifizierung vorgelegt werden. Die Journalisten hören etwas und schreiben darüber, ohne uns damit zu konfrontieren. Diese Entwicklung diskutiere ich auch mit meinen Kolleginnen und Kollegen im Bundesrat. Alle machen ähnliche Erfahrungen. Dass manchmal spekuliert oder zugespitzt wird, gehört zum Job. In der Demokratie ist eine Überprüfung der politischen Tätigkeit wichtig und richtig. Doch es gibt auch eine ethische Dimension: Die Journalisten lassen sich ihre vermeintlich gute Geschichte ungern durch Gegenargumente wegnehmen. Die Journalistinnen und Journalisten müssten einstehen für eine journalistische Correctness. Aber im Vergleich etwa zu England klagen wir auf einem hohen Niveau.

Die Kantonsregierungen von Genf und der Waadt haben im Zusammenhang mit Tamedia ihre Sorge über die Medienlandschaft in der Romandie zum Ausdruck gebracht. Haben Sie Verständnis dafür?

Ja. Alle Staatsebenen haben Interesse an der Medienvielfalt. Wenn sie diese gefährdet sehen, ist es richtig, dass etwa eine Kantonsregierung klar sagt: "Aufgepasst, das macht uns Sorgen." Diese erwähnte Intervention sensibilisiert sicherlich auch Tamedia, wenn sie quasi unter Beobachtung des Kantons, der Politik und der Bevölkerung steht.

Zurück zum Thema Qualität: Die Ausbildungsförderung ist ein gemeinsamer Nenner von Branche und Politik. Weshalb fördert man die Ausbildung nicht sofort?

In der Schweiz konzipieren die Berufsverbände den Inhalt der Bildung, nicht der Staat. Daher ist die Bildung auch im Journalismus Sache der Branche. In der Romandie ist die Ausbildung in Gesamtarbeitsverträgen verankert, das ist zu begrüssen. Es müsste auch in der Deutschschweiz so sein. Dann kann der Staat die Ausbildung finanziell und logistisch unterstützen.

Sie könnten die Branche doch zu ihrem Glück zwingen.

Ich kann niemanden zum Glück zwingen, nein. Aber ich bringe diese Ideen in Gespräche ein.

In der Deutschschweiz gibt es im Journalismusbereich  –  ausser bei der SRG – keinen GAV. Sie finden es offenbar positiv, dass es in der Romandie einen GAV gibt.

Ja.

An der Verlegertagung 2011 sagten Sie, mit angemessener Entlöhnung könnte man auch die Qualitätsstrategie verbessern. Sind die Arbeitsbedingungen in der Branche Ihrer Meinung nach zu wenig gut?

Bei unseren Kontakten mit Journalisten hören wir immer wieder, es werde bei den Arbeitszeiten eine hohe Flexibilität verlangt und sei nicht ganz einfach, wenn man auch noch Familien- oder Freizeitinteressen unter einen Hut bringen müsse. Und die Entlöhnung hat sich sicher nicht nach oben entwickelt.

Könnten Sie nicht mehr tun als mahnen?

Nein, es ist Sache der Sozialpartner, diese Fragen zu regeln. Das finde ich auch richtig. Ich kann nicht beurteilen, woran es liegt, dass es in der Deutschschweiz so schwierig ist, einen Gesamtarbeitsvertrag abzuschliessen. Womöglich müssten sich beide Seiten mehr aufeinander zu bewegen.

Kommen wir zur Presseförderung: Sie wollen in zwei Jahren einen Bericht, allenfalls Vorschläge präsentieren. Aber die aktuelle Form der Presseförderung via Posttaxenverbilligung soll jetzt gestoppt werden.

Das Parlament verlangt vom Bundesrat ein Sparprogramm. Da muss jeder Bereich seinen Beitrag leisten.

Nachher gibt es gar keine Presseförderung mehr?

Der Bundesrat muss Sparvorschläge vorlegen und das Parlament soll danach entscheiden. Es ist möglich, dass das Parlament keine Alternative zur Posttaxenverbilligung sieht.

Würden Sie bei der Presseförderung gerne einen Modellwechsel vornehmen?

Der Bundesrat hat schon mehrmals gesagt, die heute praktizierte Form der indirekten Presseförderung sei ineffizient. Die Presseförderung ist ein altes Thema: Es gibt verschiedene Modelle, doch bisher sind wir nicht weitergekommen als zum gemeinsamen Nenner Aus- und Weiterbildung. Trotzdem prüfen wir nach wie vor verschiedene Modelle.

Haben Sie ein Lieblingsmodell für die Presseförderung?

Ich kann dem Bericht nicht vorgreifen.

Wäre es denkbar, dass man sagt: Wir definieren den Service public-Gedanken breiter und fördern generell Medien in ihrem demokratiepolitischen Auftrag?

Das ist ein Gedanke, den ich sehr unterstütze. Durch die technischen Möglichkeiten vermischen sich die Informationswelten, auch die Verlage werden sich strukturell so positionieren und entwickeln. Ich verspreche mir von der Service public-Diskussion und von der Medienkommission mittel- und langfristig Empfehlungen zu diesem Thema: Wo besteht Handlungsbedarf, was ist zu tun?

Das Kunststück wird darin bestehen, Medien zu fördern, ohne dass der Staat in die Medienfreiheit eingreift.

Ja. Und wir müssen genau definieren, was gefördert werden soll. Wir werden ja kaum mehr Finanzen zur Verfügung haben als jetzt. Auch bei einer neuen Form von Medienförderung geht es also um eine andere Verteilung der Mittel.

BAKOM-Direktor Martin Dumermuth wechselt auf November ins Justizdepartement. Was bedeutet das für Ihre Medienpolitik?

Ich bedaure den Wechsel von Martin Dumermuth ausserordentlich. Er ist eine sehr kompetente Führungskraft auf der fachlichen und menschlichen Ebene. Aber man darf nicht naiv sein: Die Medienpolitik bestimmen vor allem das Parlament und letztlich die Medienkonsumentinnen und -konsumenten.

 

Interview von Bettina Büsser und Philipp Cueni am 17. Mai 2013. Marco Zanoni ist Fotograf in Bern.

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