Die Westschweizer Zeitung "Le Temps" wird von den beiden Besitzern, den Grossverlagen Tamedia und Ringier, zum Verkauf angeboten. Das macht Sorge. Man kann es aber auch als Chance sehen. Von Philipp Cueni
Wenn die beiden grossen und traditionellen Verlage in der Schweiz, Tamedia und Ringier, einen derartig wichtigen Titel wie Le Temps auf den Markt werfen und zum Verkauf anbieten, dann fragt man sich zuerst: wo ist da der Verlegerstolz, wo das Herzblut, für die Romandie das führende Blatt im Qualitätsjournalismus besitzen zu wollen?
Offenbar ist die Zeitung wirtschaftlich nicht interessant. Und offenbar ist das der einzige Massstab für die beiden Verlage. Kommt dazu, dass die heutige und zugegeben ungewöhnliche Besitzerstruktur mit zwei gleich starken Verlagen wenig Sinn macht.
Tamedia und Ringier bieten ein Eliteprodukt zum Verkauf. Eliteprodukt deshalb, weil das Blatt mit einer Auflage von 40‘000 jene Kreise in der Romandie anzusprechen versucht, welche sich vertieft mit politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Fragen auseinandersetzen wollen. Es ist aber kein Luxusprodukt: würde eine Zeitung dieser Art für die Romandie fehlen, dann hätte die Demokratie ein Defizit. Dann müsste man eine solche Publikation sofort schaffen – nicht aus oekonomischen Gründen, aber zumindest demokratiepolitisch würde eine existenzielle Marktlücke bestehen.
Zwei grosse Verlage mit guter wirtschaftlicher Basis kümmert das offenbar wenig. Sie denken wirtschaftlich und nicht publizistisch-verlegerisch. Auch wenn sie beteuern: "Voraussetzung für einen Verkauf der Beteiligungen von Ringier und Tamedia wäre ein Angebot eines überzeugenden Käufers, der Le Temps weiterführt und weiterentwickelt. Der Käufer soll sich der Bedeutung von Le Temps für die Romandie bewusst sein und den Mitarbeitenden eine Perspektive bieten können." Aber Hand aufs Herz: Tönt dieses Vorgehen nach einem überzeugten Bekenntnis zu einem Qualitätsprodukt?
Und dennoch ist das Verkaufsangebot von Ringier und Tamedia eine Chance. Zuerst: Tamedia hat in der Romandie eine derart dominante Stellung, dass es vom Vielfaltsprinzip zu begrüssen wäre, wenn sich ein (seriöser) neuer Besitzer finden würde. Und eh zu fragen ist, ob Ringier mit ihrer Ausrichtung auf Boulevard und Unterhaltung der richtige Besitzer von Le Temps sei. Dann scheint es mir transparenter und ehrlicher, gleich eine Zeitung als ganzes zur Disposition zu stellen, als sie mit Sparmassnahmen auszuhölen. Und schliesslich zwingen Tamedia und Ringier der Romandie, eigentlich der ganzen Schweiz, eine wichtige Diskussion auf. Das mag unschön sein, aber diese jetzt zwangsweise anstehende Debatte ist so oder so nötig: Wie die Versorgung der Demokratie – gerade in kleinen Publikumsräumen – mit Qualitätsmedien sichern, wenn das der Markt nicht mehr leisten will? Sind auch neue Trägerschaftsmodelle denkbar?
Gut, wenn sich Zivilgesellschaft, Politik und vor allem auch die Medienschaffenden lauthals in diese notwendige Debatte einklinken.
1 Kommentar
Ihr Kommentar