Röstigraben – 10.03.2020

Dieter Bachman: Erstaunlich wenig Notiz von der anderen Seite

Dieter Bachmann ist stv. Ressortleiter Wirtschaft bei der NZZ.

Einst hatte ich einen Kollegen auf der Redaktion, der stets originelle Ideen für Geschichten einbrachte oder gute Ansätze, wie man ein Thema weiterdrehen konnte. Sein Trick: Er hörte regelmässig Westschweizer Nachrichtensendungen auf einem kleinen, tragbaren Radio.

Auch ich schätze und nutze die Wirtschaftsberichterstattung der Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie als Informations- und Inspirationsquelle. Gerade in Branchen wie Uhrenindustrie, Privatbanken oder Rohstoffhandel finden sich oft Texte, die tiefer gehen als der typische Deutschschweizer Medienmix (oder die angelsächsische Wirtschaftspresse), einen spannenden Neben­aspekt beleuchten oder interessante Personen vorstellen.

Gefühlt hat sich das von den Redaktionen auf beiden Seiten des Röstigrabens abgedeckte Spektrum aber insgesamt verkleinert und angeglichen. Die Gründe? Implodierte (Wirtschafts-)Redak­tionen im Zuge der Zeitungsfusionen, Austausch von Texten, internationale Recherchekonsortien.
Was hat sich verändert, seit sich die – selbstauferlegte – Chronistenpflicht auf immer weniger, grosse Firmen beschränkt? Früher hatte man regelmässig zu einer Handvoll Westschweizer Unter­nehmen ein paar Zeilen im Blatt, vorausgesetzt es standen gerade Jahres- oder Quartalszahlen an.

Heute, da der Stellenwert der reinen Ergebnisberichterstattung (auch bei den Deutschschweizer Firmen) abgenommen hat, ­bleibt zumindest theoretisch mehr Raum für grössere Geschichten – und diese können dann gerade so gut auch aus der Romandie kommen. Wenn man sowieso rausgeht für eine Reportage, dann spielt es meist keine Rolle, ob man von Zürich in periphere Gegenden der deutschsprachigen Schweiz oder über den Röstigraben reist.

Das ergänzt, aber ersetzt nicht den Westschweiz-Korrespondenten, den die NZZ und andere Medienhäuser zum Glück nach wie vor haben. Dieser unterstützt die Kollegen in Zürich einerseits bei der Kontaktpflege zu Firmen, schlägt aber andererseits auch immer wieder zu wirtschaftspolitischen Themen einen Pflock ein (die Grenzgängerproblematik im Neuenburger Jura, das grenzüberschreitende S-Bahn-Projekt Léman Express oder die Abhängigkeit der Kantone von den Tabakkonzernen, um nur einige zu nennen). Denn bei aller geografischen Nähe ist es doch immer wieder aufs Neue erstaunlich (und schade), wie wenig der eine Landesteil vom anderen Notiz nimmt.

 

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