Geld sammeln für journalistische Projekte? Auf der deutschen Crowdfunding-Plattform krautreporter.de ist das möglich – übrigens auch für Schweizer Projekte. Von Bettina Büsser
Pauline Tillmann ist freie Journalistin und will im Tibet recherchieren, warum Menschen dort bereit sind, sich selbst anzuzünden. Dazu will sie mit Überlebenden solcher Aktionen sprechen. Um die geplante Radioreportage zu verwirklichen, braucht sie 3500 Euro, vor allem für Reise- und Übersetzungskosten. Christian Salewski, Felix Rohrbeck, Marcus Pfeil und Carolyn Braun sind freie Medienschaffende und wollen drei mit GPS-Ortung versehene Schrott-Fernseher entsorgen, deren Weg verfolgen und so herausfinden, wer wie im weltweiten Handel mit Elektroschrott mitmischt. Dafür brauchen sie 4950 Euro, für besondere GPS-Geräte etwa und für Reisekosten.
Zu finden sind diese beiden Projekte und eine Reihe anderer journalistischer Vorhaben auf der Crowdfunding-Site krautreporter.de. Die deutsche Plattform ist ausschliesslich auf die Finanzierung journalistischer Projekte ausgerichtet: Die Initianten stellen dort ihr Projekt und die benötigte Finanzierung vor, es bleibt über eine festgelegte Zeit online, in der von den Initianten mobilisierte Interessierte ihre Unterstützung durch eine Zahlung zeigen können. Wird der geplante Betrag nicht erreicht, geht das Geld an die potenzielle Unterstützer zurück, wird er erreicht, erhalten die Initianten das Geld und können loslegen.
"Die Rechte verbleiben bei den Journalisten", sagt Sebastian Esser, Geschäftsführer Krautreporter GmbH und Redaktor des Online-Magazins "V.i.S.d.P. – Magazin für Medienmacher". Wo die fertigen Arbeiten veröffentlicht werden und ob die Journalisten dafür bezahlt werden, sei ihre Sache: "Sie müssen aber in einem Bericht zeigen, was aus dem Projekt geworden ist. Die Unterstützer erhalten für ihre Finanzierung eine Prämie, etwas Spezielles im Zusammenhang mit dem Projekt, können etwa bei einer Recherchereise dabei sein."
"Depressiver Kreislauf". Warum hat Sebastian Esser krautreporter.de lanciert? "Ich bin Medienjournalist und arbeite seit rund zehn Jahren in diesem Bereich. Wir befinden uns seit der ersten Medienkrise in einem depressiven Kreislauf: Es wird immer schlechter, gibt immer weniger Geld für Journalismus und so weiter", erklärt er. Deshalb hat er zusammen mit dem freien Journalisten Wendelin Hübner gehandelt und die Plattform nach dem Vorbild des Journalismus-Crowdfundings in den USA gestartet.
Mit Erfolg: krautreporter.de ist seit Anfang Februar online und hat bis Mitte Mai bereits 65 000 Euro umgesetzt; 13 Projekte sind finanziert, drei sind gescheitert, sechs sind noch aktiv. Kommt ein Projekt zustande, erhält die Krautreporter GmbH fünf Prozent der Summe, scheitert es, erhält die GmbH nichts.
Leo Coray, freier Journalist und Präsident der Arbeitsgemeinschaft Deutschschweiz der freien Berufsjournalistinnen und -journalisten von Impressum, reagiert im ersten Moment "sprachlos" auf die Idee, Journalismus durch Crowdfunding zu finanzieren: "Eigentlich ist es schockierend und ein Armutszeugnis für die Verlage, wenn man journalistische Arbeit sponsern lassen muss. Offenbar sind wir heute so weit, dass man solche Projekte diskutieren muss." Allerdings, so Coray, sei es nicht sinnvoll, dagegen zu sein, wenn so guter Journalismus ermöglicht werde.
Etwas anders reagiert Roland Kreuzer, Leiter Sektor Medien Syndicom: In der Presseförderungs-Diskussion sei die Einrichtung von Recherchefonds als Teil der staatlichen Presseförderung "auch eine zu verfolgende Piste", es sei ein interessanter Ansatz, Qualitätsjournalismus zu fördern und nicht nur Medien: "Insofern finde ich Ideen und Projekte gut, die qualitativ hochstehenden Journalismus und Recherche fördern können. Mir stellt sich dabei die Frage, ob dann Verlage nicht journalistische Arbeiten günstig einkaufen können, die durch Crowdfunding verbilligt wurden, und wie eine anständige Bezahlung der Arbeit gewährleistet werden kann."
Esser kennt diese und ähnliche spontane Reaktionen und wehrt sich dagegen. Crowdfunding sei weder Bettelei, noch würden damit quasi die Verlage subventioniert: "Unser Umsatz beträgt ja nur einen winzigen Anteil dessen, was die grossen Verlage umsetzen. Und wir finanzieren viele journalistisch wertvolle Projekte, die in einem Verlagsumfeld gar nicht funktionieren würden, weil sie sich an eine so kleine Zielgruppe richten. Wenn man diese Projekte durch Crowdfunding finanzieren kann, entsteht eine neue Medienform, unabhängig von Verlagen und deren Geschäftsmodell."
Um die Leser kümmern. Auch für den Journalismus kann diese Finanzierungsform laut Sebastian Esser positive Auswirkungen haben. Denn so müssten sich die Journalisten überlegen, welche Zielgruppe sie ansprechen und wie sie diese erreichen: "Ihre Arbeit zu vermarkten, fällt vielen nicht leicht. Doch wenn wir die Zwischenhändler – Sender und Verlage – weglassen, müssen wir ihren Job übernehmen und uns um unsere Leser kümmern."
Krautreporter ist übrigens nicht nur für Deutschland gedacht, sondern auch für Österreich und die Schweiz. Laut Esser wurde bereits ein österreichisches Projekt finanziert, auf Projekte aus der Schweiz wartet er noch: "Sie sind willkommen. Ich helfe auch gerne mit, falls jemand in der Schweiz eine ähnliche Plattform aufziehen will."
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