Der Gewerbeverband setzt weiter auf Medienpolitik und stellt sich in die Reihe der Anti-SRG-Hardliner. Mit seinen medialen Aktionen profitiert er ausgerechnet bei den SRG-Sendern für seine Wahlkampagne. Von Philipp Cueni
Der Schweizerische Gewerbeverband SGV unterstützt die "No Billag"-Initiative, welche die Gebühren für die SRG völlig abschaffen will und sogar den Anti-SRG-Hardlinern wie Natalie Rickli zu weit geht. Das erstaunt doppelt: Das neu präsentierte Positionspapier des SGV sagt, die SRG werde nicht in Frage gestellt – ein klarer Widerspruch zu den Forderungen der "No Billag". Und offenbar will der Gewerbeverband nach seiner Abstimmungsniederlage zum RTVG zum Thema Medienpolitik aktiv bleiben – weit über die Frage der Gebühren für Gewerbebetriebe hinaus.
WAHLKAMPF Das an einer Medienkonferenz vorgestellte medienpolitische Positionspapier der Gewerbler vermittelte den Eindruck einer wahlpolitischen Aktion von Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler. Da reiht sich der Gewerbeverband medienpolitisch klar bei den Anti-SRG-Hardlinern ein: Das "Positionspapier" unterstützt vor allem die parlamentarischen Vorstösse von Natalie Rickli (SVP), Christian Wasserfallen (FDP, Aktion Medienfreiheit), Thomas Müller (SVP) und Gregor Rutz (SVP).
GEGEN WINDMÜHLEN Das Papier unterstellt dem Bundesrat, das Versprechen einer Debatte zum Service public nicht einzuhalten. Ein Angriff auf Windmühlen, denn die Realität sieht anders aus: Auf Dezember ist der Bericht der Eidgenössischen Medienkommission terminiert, auf Sommer 2016 der Bericht des Bundesrates. Zudem läuft die Debatte auch sonst ziemlich heftig. Dass der Bundesrat bremse, ist wirklich nirgends zu erkennen.
Umgekehrt kritisiert Bigler, der Bundesrat mache zu schnell bei der Umsetzung des RTVG. Das zeugt von einem merkwürdigen Demokratieverständnis. Und auch hier ist die Faktenlage anders: Der eigentliche Übergang zum neuen Gebührensystem mit der neuen Tarifordnung ist erst auf den 1. Januar 2019 vorgesehen.
SRG-KAHLSCHLAG Der SGV sagt, er stelle den Auftrag der Bundesverfassung an den Service public nicht in Frage. Dennoch verlangt er eine markante Redimensionierung des Leistungsauftrages an die SRG sowie Einsparungen im grossen Umfang. Dabei solle auch eine Budgetreduktion um 62 Prozent geprüft werden! Anders formuliert: Der Gewerbeverband kann sich ernsthaft vorstellen, ein Qualitätsprogramm mit Information, Kultur, Unterhaltung und Sport mit 500 Mio. statt 1.336 Mia. (Stand 2011) zu realisieren.
Es zeigen sich weitere Widersprüche im SGV-Papier: Man wolle keine Einmischung der Politik in die Programmhoheit der SRG, betonte Bigler an der Medienkonferenz. Dennoch verlangt der SGV, dass die Konzession – heute in der Kompetenz des Bundesrats –künftig vom Parlament beschlossen werde. Damit wäre der Durchgriff der Politik aufs Programm möglich. Davor warnen übrigens auch viele SRG-Kritiker!
AKTIENGESELLSCHAFT SRG Grundsätzlich verlangt der Gewerbeverband eine Teilprivatisierung der SRG und schlägt eine gemischtwirtschaftliche Aktiengesellschaft vor.
Auch die Arbeitsbedingungen bei der SRG kritisiert der Gewerbeverband – sie seien "wenig marktgerecht". Auf die Frage, ob die Arbeitsbedingungen bei der SRG also verschlechtert werden sollen, antwortet der SGV diffus: Im Tessin und weniger krass in der Romandie habe es bei der SRG zuviele Mitarbeitende, und der Lohn bei der Generaldirektion sei zu hoch. Konkreter wird der SGV nicht.
SCHLECHTER VERLIERER Gewerbedirektor Bigler zeigt sich als schlechter Verlierer: Er stellt die 45 Millionen, welche aus einem Gebührenüberhang für die Ausbildung bei den privaten Radio-/TV-Stationen zur Verfügung gestellt werden, in Frage: Genau aber das wurde in der Volksabstimmung explizit angenommenen und war in der Debatte auch gar nie bestritten. Auf Nachfrage erklärt Bigler, die SRG solle selber für die Ausbildung aufkommen. Aber die SRG sieht von diesen 45 Millionen keinen Rappen, sie gehen gemäss Gesetz insgesamt an die Privaten. Kennt Bigler die Gesetzesvorlage, die er so vehement bekämpft, zu wenig genau?
PROGRAMM AUSDÜNNEN Grundsätzlich verlangt der Gewerbeverband, dass die SRG dem Publikum nur jene Inhalte anbiete, welche nicht bereits von den Privaten erbracht würden. Alles, was über den Markt geboten wird, müsste dann die SRG aus dem Programm nehmen. Deshalb müsse der Auftrag und entsprechend das Budget der SRG redimensioniert werden. Eine Folge eines derart ausgedünnten Programms wäre eine Reduktion der Angebotsvielfalt. Denn was ein Privater macht und was die SRG, muss bei gleichem Programmthema nicht gleich herauskommen.
Auch der Gewerbeverband weiss, dass die Politik den Auftrag an die SRG über Verfassung, Gesetz und Konzession definiert und entsprechend den dafür notwendigen Finanzbedarf bestimmt. Innerhalb dieses Rahmens setzt die SRG dann um. Absurd ist deshalb, wenn Bigler auch von der SRG fordert, sie selbst müsse massiv reduzierte Budgetvarianten vorlegen und selbst aufzeigen, welche ihrer heutigen Leistungen allenfalls von privaten Medien erbracht werden können.
BILDSCHIRMPRÄSENZ BIGLER Bei einer kleinen Medienschau zur Medienkonferenz des SGV fällt Mischa Aebi in der Berner Zeitung mit einer abenteuerlichen These auf: Er vermutet, die SRG habe das aktuelle Sparpaket von 40 Millionen wegen der angekündigten Medienkonferenz des Gewerbeverbandes geschnürt. Aber die SRG lässt sich ihre Agenda kaum vom SGV diktieren. Aber in anderer Hinsicht ist das Kalkül von Hans-Ueli Bigler ausgerechnet dank den SRG-Sendern aufgegangen: Den ausführlichsten und prominentesten Bericht brachte die Tagesschau auf den SRG-Sendern: Soviel TV-Präsenz vor den Wahlen ist unbezahlbar.
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