An den Journalistenschulen wird es gelehrt, an Medienkongressen und Festivals gepriesen. Dennoch bewegt sich in Sachen Multimedia wenig bis gar nichts. Ein Plädoyer für mehr Experimentierfreude.
VON SAMANTHA ZAUGG
Wenn ich etwas schreibe, würde ich es am liebsten vorlesen. Stellen Sie sich also vor, ich halte eine Rede. Szene: mittelgrosser Saal, Bühne, die Stühle mit Klammern zusammengemacht. Ich mit Handmikrofon, damit ich weiss, wohin mit den Händen. Obwohl ich gerne Sachen vortrage, bin ich am Anfang meistens aufgeregt. Zuerst versuche ich, lustig zu sein.
Ich habe kürzlich das MAZ abgeschlossen und soll Ihnen erzählen, wie es denn so ist als junge Journalistin. Wie soll ich das wissen, ich habe ja keinen Vergleich. Ich war ja noch nie eine alte Journalistin. So, Eis gebrochen. Ich möchte über Multimedia sprechen. Der Journalismus ist in der Krise, meine Damen und Herren, das ist Konsens. Und deshalb ist klar: Man muss etwas tun. Ich würde eine lange Pause machen und ernst schauen. So lange, dass es unangenehm wird. Hüsteln, Stühlerücken, eine Grille zirpt. Also, meine Damen und Herren: Wieso tut niemand etwas?
Einige würden ein empörtes Geräusch machen. Lippen zusammenpressen, Luft aus den Nasenlöchern pusten und dabei den Kopf bewegen, als hätten sie Schluckauf. Das Multimediazeugs, würde einer von hinten rufen, das rettet den Journalismus auch nicht!
Ja, würde ich sagen, da haben Sie vielleicht recht. Aber wir sind uns doch einig: Die Zeiten ändern sich, und wir müssen mitmachen. Wohin es geht, wissen wir nicht, was die Lösung sein soll, auch nicht. Also, wieso nicht also einfach mal etwas ausprobieren?
Natürlich gibt es tausend Gründe, sich gegen multimediales Arbeiten zu sträuben. Die Alten fangen sicher nicht noch etwas Neues an, die Jungen wollen zuerst mal das Handwerk beherrschen. Die kleinen Redaktionen haben keine Ressourcen, die grossen sind vor lauter Abteilungen träge, und die Vorgesetzten sagen, das CMS sei halt noch nicht so weit. Den besten Grund, meine Damen und Herren, den können sie alle anwenden, unabhängig von Alter, Position oder Medium. Der beste Grund ist: Ich kann das doch gar nicht.
«Etwas ausprobieren, scheitern, sich kurz schämen, und es dann wieder versuchen.»
Jetzt sind Sie genervt. Sie finden mich ein bisschen vorlaut. Zeit für die Emotionen. Sie, meine Damen und Herren, sagen, Sie können das nicht. Ich mache eine Pause, tigere auf der Bühne hin und her. Als ob uns das jemals von etwas abgehalten hat, wenn wir etwas nicht konnten! Ich betone die Silben und untermale das mit Handbewegungen im Rhythmus.
Denken Sie an Ihre erste Geschichte. Bei mir war das ein Schulsporttag. Noch nicht mal fürs Dorfblatt, sondern für die Website der Schule. Und zwar zu einer Zeit, als noch niemand wusste, dass die Primarschulgemeinde Frauenfeld überhaupt eine Website hat. Weiter gings mit der Altpapiersammlung der Pfadfinder oder dem öffentlichen Fischknusperli-Essen am Veteranenschützenfest. Das Zeug war ziemlich schlecht. Und das Schlimmste: Insgeheim habe ich es gewusst. Ich hätte es mir nie eingestanden. Das ist wie mit dem Tod: Man weiss, dass man irgendwann stirbt, aber man denkt halt nicht immer daran.
Ich vermute, bei den meisten im Saal war es so oder ähnlich. Aber haben wir deshalb aufgehört? Natürlich nicht! Wir haben uns und dem Publikum nichts erspart. Wir haben weiter gemacht und sind dabei immer ein bisschen besser geworden.
Sie erinnern sich, ich spreche zu Ihnen als Jungjournalistin. Im Vergleich mit den meisten von Ihnen bin ich ein kleiner Fisch. Aber wenn ich zurückschaue, dann bin ich fast ein bisschen stolz. Wenn ich das mit dem Primarschulbericht vergleiche, dann habe ich jetzt schon eine ziemlich steile Karriere hingelegt. Denken Sie an Ihre erste Geschichte und sehen Sie, wo Sie heute sind. Wer hätte das jemals gedacht?
Das hat gesessen, wir haben uns wieder gern. Jetzt nur nicht den Schluss verkacken.
Also erinnern wir uns zurück an diesen unverbesserlichen, aktivistisch nervigen Optimismus. Nehmen wir ihn wieder hervor und machen es so wie damals: Etwas ausprobieren, scheitern, sich kurz schämen, aber wirklich nur ganz kurz, und es dann wieder versuchen. Nochmals scheitern und dann nochmals etwa eine Million Mal, bis wir etwas haben, das zwar nicht perfekt ist, vielleicht noch nicht mal gut, aber das zumindest verhebt. Mit den kleinen Schritten, mit denen wir unsere Karriere begonnen haben, machen wir weiter, schaffen es so aus der Krise heraus, erfinden vielleicht sogar den Journalismus neu.
Überlegen Sie sich, was Ihr erster kleiner Multimediaschritt sein könnte. Bringen Sie mal ein Foto heim, machen eine Bildstrecke, schreiben was für Online oder was auch immer. Und dann denken Sie an mich, denn dann haben Sie mir eine grosse Freude gemacht! Danke schön.
Applaus, geschafft. Am Schluss vielleicht etwas dick aufgetragen. Aber man muss ja sehen, wo man bleibt.
Samantha Zaugg absolviert zurzeit ein Praktikum bei der «Rundschau» beim Schweizer Fernsehen, arbeitet als freie Journalistin mit Bild, Text und Video.
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