Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Zwar wurde der Entscheid über die Schliessung der NZZ-Druckerei noch nicht definitiv gefällt, ja, er verzögert sich sogar – doch gleichzeitig wurden die entsprechenden Kosten bereits abgeschrieben. Und: Zwar gibt es nun eine "Findungskommission" der NZZ-Redaktion für die beiden Führungsjobs "Chefredaktor NZZ" und "Leiter neue Publizistik" – doch entscheiden wird am Schluss der Verwaltungsrat. Derweil rätselt man bei der NZZ nach wie vor über die "Causa Somm": Steckt eine politische Verschwörung dahinter oder Unwissen über die Medienbranche? Von Bettina Büsser
Die NZZ-Mediengruppe blickt stolz nach Österreich. Dort ist am 21. Januar die neue, sehr ambitionierte Nachrichten-Website nzz.at gestartet. In der Heimat der NZZ hingegen ist die Stimmung nicht so gut: Seit Ende November letzten Jahres – seit Veit Dengler, CEO der NZZ-Gruppe, bekanntgegeben hat, er wolle die dortige Druckerei schliessen – bangen die Druckerei-Angestellten in Schlieren um ihre Arbeitsplätze. Es geht um 125 Stellen. In der NZZ-Redaktion in Zürich fragen sich die Mitarbeitenden derweil seit Mitte Dezember – seit sie erfuhren, dass Chefredaktor Martin Spillmann seinen Job verlässt/verliert und der NZZ-Verwaltungsrat Markus Somm als seinen Nachfolger erwog -, was künftig aus der NZZ werden soll.
Druckerei bereits abgeschrieben?
CEO Veit Dengler und Verwaltungsratspräsident Etienne Jornod sind wohl ebenfalls nicht sehr glücklich. Denn beide haben wohl kaum damit gerechnet, dass ihre Pläne für so breite öffentliche und interne Reaktionen sorgen würden. Vielleicht haben sie – bis zu ihrem NZZ-Mandat nicht in der Medienbranche tätig – die Öffentlichkeitswirkung von Medien und insbesondere den Stellenwert der NZZ unterschätzt.
Die Schliessung der Druckerei in Schlieren schien beschlossene Sache. Doch dann unterschrieben über 1000 Personen eine Petition dagegen. Die Betriebskommission NZZ-Print und die NZZ-Personalkommission stellten im Rahmen des Konsultationsverfahrens einen ausführlichen Bericht zusammen, der zum Schluss kam, die Schliessung sei "betriebswirtschaftlich unnötig, strategisch falsch und bei längerfristiger Perspektive sogar gefährlich". Der Bericht war offenbar so überzeugend – unter anderem bei den Themen Druckqualität und Geheimhaltung der NZZ-Daten -, dass der Verwaltungsrat den erwarteten Schliessungsentscheid herausschob und weitere Abklärungen forderte. Dengler informierte am 22. Januar die Mitarbeiter der Druckerei, der Entscheid werde "mit der grösstmöglichen Sorgfalt" getroffen, und werde "voraussichtlich in zwei Wochen" fallen. Bloss: Im Interview mit der "SonntagsZeitung" sagte Jornod über das letzte Geschäftsjahr: "Aufgrund der beabsichtigten Druckereischliessung und der damit zusammenhängenden Abschreibungen auf Gebäude und Produktionsanlagen entsteht allerdings ein Unternehmensverlust." Alles bereits abgeschrieben?
Noch keinen Entscheid gibt es bei der Nachfolge von Markus Spillmann als NZZ-Chefredaktor. Mittlerweile ist bekannt, dass aus dem einen Posten künftig zwei werden: "Chefredaktor NZZ" und "Leiter neue Publizistik". Letztere Funktion, neu geschaffen, bedeutet sicherlich, dass der künftige NZZ-Chefredaktor weniger Kompetenzen haben wird als der frühere. Auf der NZZ-Redaktion wird gemunkelt, dies sei der Grund für Markus Somms Absage für den Job des Chefredaktors gewesen.
"Findungskommission" hört an – Verwaltungsrat entscheidet
Im Rahmen des Vorschlags- und Anhörungsrechts, das die NZZ-Redaktion nach ihrem Redaktionsstatut und aus Tradition besitzt, wurde nun eine "Findungskommission" aus der Redaktion zusammengestellt: Bestehend aus vier Redaktionsangehörigen, niemand von ihnen Mitglied der Chefredaktion oder eines der "politisch unter besonderer Beobachtung stehenden Ressorts der NZZ", nimmt sie interne Kandidaturen entgegen, hört im Rahmen des Anhörungsrechts externe Kandidaten an und unterbreitet ihre Vorschläge dann dem Verwaltungsrat. Dieser wird entscheiden – und muss sich dabei natürlich nicht an diese Vorschläge halten.
Beim Thema Chefredaktion waren die Reaktionen aus Politik, Leserschaft und Redaktion unerwartet breit, laut und stark, als bekannt wurde, dass der Verwaltungsrat Markus Somm, Chefredaktor und Verleger der "Basler Zeitung", als Kandidaten für das Amt sah. Somm selbst gab – für den Verwaltungsrat wahrscheinlich eher unangenehm – mehr oder weniger öffentlich bekannt, dass er auf den Posten verzichte. Fast alle NZZ-Korrespondenten und Mitglieder der NZZ-Redaktion unterschieben offene Protestbriefe und verwahrten sich dagegen, dass der neue Chefredaktor in der entsprechenden "politischen Richtung" gesucht werde wie Somm. Und selbst die "Interessengemeinschaft Freunde der NZZ", eine Aktionärsgruppe, die sich stark um das wirtschaftliche Wohl der NZZ-Gruppe sorgt und oft eher in die Nähe der SVP gerückt wird, äusserte sich sehr klar: "Es kann nicht sein, dass sich der Verwaltungsrat ernsthaft mit der Evaluation eines Nachfolgers von Chefredaktor Markus Spillmann beschäftigt, ohne sich mit dem Redaktionsstab des Hauses abzustimmen. Wir verstehen auch nicht, dass das neunköpfige Gremium einen Kandidaten in Erwägung ziehen konnte, der derart polarisiert wie der Chefredaktor der ‚Basler Zeitung‘."
Verschwörung? Unterschätzt? Beide Möglichkeiten "bedenklich" …
Diese Frage stellen sich nach wie vor sehr viele Leute ausserhalb und vor allem innerhalb der NZZ-Redaktion. Liegt der Grund in einer politische Verschwörung, die ohne Rücksicht auf mögliche wirtschaftliche Konsequenzen – schliesslich hat die "Basler Zeitung" unter Somms Leitung im Bereich Auflage und Leserschaft überdurchschnittlich viel verloren – die NZZ nach rechts rücken wollte? Oder hat der branchenfremde Jornod die Tragweite eines Entscheides für Somm unterschätzt? "Für mich sind beide Möglichkeiten denkbar", sagt ein Redaktionsmitglied, "und beide sind bedenklich." Jornod selbst äussert sich auf Anfrage von Edito+Klartext (schriftlich) folgendermassen: "Wichtig ist zunächst zu sagen, dass wir die Kandidatur Markus Somm geprüft haben. Die Nominierung ist nicht auf ihn gefallen. Es gab unsererseits und seinerseits mehrere Kriterien, die nicht erfüllt waren. Das wurde in der Öffentlichkeit teilweise nicht richtig wahrgenommen. Das ist sicher mit ein Grund, weshalb die Reaktionen heftiger als erwartet ausgefallen sind."
Vorläufig wird die NZZ interimistisch von den drei stellvertretenden Chefredaktoren René Zeller, Luzi Bernet und Colette Gradwohl geführt. Die Stimmung im Haus, so ist zu hören, sei nicht gut: "Alle sind besorgt. Und die NZZ ist dauernd negativ in den Schlagzeilen." Nicht besser wird die Stimmung, weil immer wieder neue Gerüchte rund um die "Kandidatur" von Markus Somm kursieren. Wer hat da mitgeredet? Wer wurde konsultiert? Verwaltungsratspräsident Jornod schrieb in einer Stellungnahme: "Diverse Sondierungen bei wichtigen liberalen Persönlichkeiten sowie Kennern der Schweizer Medien- und Politiklandschaft zeichneten indes ein positives Bild der Kandidatur Somm."
Rotary-Club Zürich als Drehscheibe?
Zuletzt berichtete die "Schweiz am Sonntag" unter dem Titel "Die Händel des Martin Meyer", Drahtzieher hinter Somms Nomination sei NZZ-Feuilletonchef Martin Meyer gewesen, der sich damit selbst den Posten des publizistischen Leiters habe verschaffen wollen. Meyer ist wie Ulrich Bremi, der frühere Unternehmer, FDP-Politiker und NZZ-Verwaltungsratspräsident, sowie die NZZ-Verwaltungsräte Isabelle Welton, Christoph Schmid, Dominique von Matt und Carolina Müller-Möhl Mitglied des Zürcher Rotary-Clubs. Dort, so die "Schweiz am Sonntag", soll die Idee entstanden sein, Markus Somm als NZZ-Chefredaktor mit "dem in der Zürcher Gesellschaft hoch angesehenen Meyer als publizistischen Leiter" abzufedern. Bremi, den mit Somms Vater eine Freundschaft verband, habe sich ausserdem bei Zürcher Freisinnigen und Wirtschaftsvertretern für Somm eingesetzt.
Martin Meyer hat gegenüber der NZZ-Redaktion diese Darstellung der Dinge dementiert. Und Ulrich Bremi äusserte sich auf Anfrage von Edito+Klartext folgendermassen: Er sei Mitglied des Rotary-Clubs Zürich, habe aber mit Meyer und den NZZ-Verwaltungsräten "nie im Rotary Club über Markus Somm und die NZZ-Chefredaktion gesprochen. Ob diese untereinander darüber gesprochen haben, weiss ich nicht". Er habe aber tatsächlich Gespräche zum Thema geführt, die Besetzung der NZZ-Chefredaktion interessiere ihn, und "es rufen mich Leute an, schreiben mir Briefe."
"Zürcher, die die ‚Basler Zeitung‘ auch nicht lesen"
Im Gespräch mit Edito+Klartext sagte Bremi weiter, er kenne Somm, wisse aber nicht, wie dieser in der "Basler Zeitung" schreibe, da er sie nicht lese. Ausserdem habe er nicht gewusst, wie sich die Auflage der "Basler Zeitung" unter Somm entwickelt habe. "Mir gegenüber haben verschiedene Personen auf das Thema Markus Somm als NZZ-Chefredaktor reagiert – positiv wie negativ", so Bremi: "Bei den negativen Reaktionen hatte ich den Eindruck, es handle sich nicht um Angst vor Somm, sondern um Angst vor Blocher. Ausserdem waren es Zürcher, die, wie ich annehme, die "Basler Zeitung" auch nicht lesen."
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