Schülerinnen und Schüler sollen lernen, kompetent mit Medien umzugehen. In der Deutschschweiz existiert eine Reihe von Angeboten mit diesem Ziel. Manche überschneiden sich, viele zielen auf die publizistische Medienkompetenz ab – und gerade in diesem Bereich kommen noch neue dazu.
Von Bettina Büsser
Alle Schülerinnen und Schüler sollen «Medien verstehen und verantwortungsvoll nutzen» können. Das ist das Ziel des Lehrplans 21, der ab 2015 von allen deutsch- und mehrsprachigen Kantonen übernommen wurde – je in einer auf den eigenen Kanton zugeschnittenen Version. Das Modul «Medien und Informatik» ist von der Kindergartenstufe an über die ganze obligatorische Schulzeit hinweg Teil des Lehrplans.
Sind Deutschschweizer Kinder nach ihrer Schulzeit kompetent im Umgang mit Medien? Bereits die Definition von Medienkompetenz sei schwierig, sagt Philippe Wampfler, Lehrer, Dozent für Fachdidaktik Deutsch an der Universität Zürich und Experte für Lernen mit Neuen Medien: «Oft geht es in medienpädagogischen Settings um den Umgang mit medialen Gefahren. Aus der Sicht der Verlage steht die Frage der Informationserschliessung im Vordergrund, aus der Sicht der Schulen der lernförderliche Umgang mit Medien. Das sind ganz unterschiedliche Formen des Medienverständnisses.»
Studien zur Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz gibt es laut Wampfler zwar, «aber letztlich können so nur Facetten erfasst werden». So wurden für die 2019 erschienene Studie «EU Kids Online Schweiz» 9- bis 16-Jährige befragt; es ging dabei aber um «Chancen und Risiken der Internetnutzung». Und die alle zwei Jahre in der ganzen Schweiz durchgeführte JAMES-Studie untersucht vor allem die Mediennutzung von Jugendlichen. «Sinnvoll wäre, die entsprechenden Kompetenzen aus dem Lehrplan 21 könnten in einem standardisierten Test erfasst werden», so Wampfler.
Fehlende zentrale Übersicht. Projekte, Materialien und Lernplattformen für die Medienbildung von Kindern und Jugendlichen existieren in der Deutschschweiz relativ viele. Für Lehrkräfte ist es nicht einfach, sie alle zu finden, denn eine zentrale Übersicht gibt es nicht – ein Manko. Ein Teil der Angebote zielt vor allem auf einen verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien, insbesondere Social Media ab. Dazu gehört etwa «Jugend und Medien» des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) oder «Zischtig», ein Angebot des Vereins zischtig.ch.
«Gerade weil Medienkompetenz so viele Facetten hat, braucht es wohl unterschiedliche Angebote, die das auch darstellen.»
Natürlich gibt es auch verschiedene Lehrmittel, die sich auf den Lehrplan 21 beziehen. Dazu kommen Angebote mit Schwerpunkt Journalismus und Information; inFORM etwa bereitet aktuelle Zeitungsartikel und Radiobeiträge für den Einsatz im Unterricht auf. Und die eben lancierte partizipative Ausstellung «Auf der Suche nach der Wahrheit. Wir und der Journalismus» von journalistory.ch will die Auseinandersetzung mit der Arbeit von Medienschaffenden und mit dem Umgang mit Informationen fördern. Sie richtet sich an alle, insbesondere an Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufe I und II, und gastiert in den nächsten Jahren an verschiedenen Orten in der Deutsch- und Westschweiz.
Um die Arbeit von Medienschaffenden und den Umgang mit Informationen geht es auch bei PUMAS («Publizistische Medienkompetenz in Ausbildung und Schule»). Angestossen wurde das Projekt von Res Strehle, dem damaligen Stiftungsratspräsidenten der Schweizer Journalistenschule MAZ, Projektleiter Qualitätsmonitoring bei Tamedia. Seit 2019 organisiert PUMAS Medienwochen an Mittelschulen. «Wichtig ist uns, der jungen Generation die Bedeutung bezahlter journalistischer Inhalte aus einer Redaktion mit Dossierkompetenz zu zeigen, sie in das journalistische Handwerk einzuführen und sie in Gruppen selber einen schülerjournalistischen Beitrag erstellen zu lassen», so Strehle.
PUMAS ist seit Längerem mit den öffentlichen Schulen im Kanton Zürich im Gespräch, will künftig auf verschiedenen Schulstufen Medienwochen durchführen und das Projekt auch anderen Kantonen anbieten. «Fernziel ist, dass irgendwann jede Schülerin, jeder Schüler im Rahmen der Schulkarriere einmal die Chance auf eine Medienwoche hat», sagt Strehle.
«Irgendwann soll jede Schülerin, jeder Schüler einmal die Chance auf eine Medienwoche haben.»
Die grössten Anbieter. Angebote aus der Medienbranche mit Schwerpunkt publizistische Medienkompetenz könnten als Marketing-Massnahmen für die eigenen Produkte gelesen werden. Andererseits spielt der Umgang mit Informationen und Medien in einer direkten Demokratie eine wichtige Rolle.
Der Lehrplan 21 sah auf jeden Fall Handlungsbedarf – und dass es diesen gibt, zeigt etwa die 2022 publizierte Vertiefungsstudie zum «Jahrbuch Qualität der Medien» des Forschungszentrums Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich: Die erfassten 19- bis 24-Jährigen konsumierten auf ihren mobilen Geräten durchschnittlich nur gerade sieben Minuten pro Tag News. «Der Befund bestätigt die seit einigen Jahren bereits in Umfragen ermittelte News-Deprivation bei jungen Erwachsenen», so das Fazit.
Die grössten Anbieter von Unterrichtsmaterialien im Bereich Medienkompetenz sind der Verband Schweizer Medien (VSM) sowie die Arbeits- und Lernplattform für Schule und Unterricht, IQES online. Bei IQES findet sich eine Reihe von Angeboten zum Thema. «Wir bieten sie zum Teil seit Jahren an», sagt Gerold Brägger, Leiter und Gründer von IQES: «Seit 2022 gibt es zusätzlich das Angebot ‹CheckNews – Lernumgebungen zur Förderung der Medienkompetenz›, das wir in Kooperation mit dem fög entwickelt haben.» Die Materialien sind in erster Linie für Schülerinnen und Schüler der Sek I und Sek II gedacht.
«CheckNews» bietet offene Lernumgebungen für Schülerinnen und Schüler und Unterrichtsszenarien für die Lehrkräfte. Es geht dabei etwa um den Umgang mit Social Media, Fake News und unterschiedlichen Quellen, aber auch um journalistische Arbeit: Ab Herbst sind Webinare im Angebot, in denen Medienschaffende ihre Arbeit vorstellen und mit den Klassen Medienprojekte entwickeln.
Laut Brägger wurden die «CheckNews»-Seiten bis Ende März 16 258-mal aufgerufen, dazu verzeichnete IQES 19 250 Downloads von Lernmaterialien und Medienberichten: «Da anzunehmen ist, dass viele Lehrpersonen die PDF herunterladen und dann der Klasse in Papierform oder über die Schulcloud zur Verfügung stellen, multiplizieren sich die Nutzerzahlen.»
Der Verband Schweizer Medien engagiert sich laut Marianne Läderach, Leiterin des VSM-Medieninstituts, seit über 20 Jahren mit Materialien für die Schule: «Wir verstehen uns auch als Kompetenzzentrum für die publizistische Medienkompetenz.» Das frühere Lehrmittel «Lesen macht gross» werde noch immer mehrere tausend Mal jährlich heruntergeladen.
Das neue vom VSM entwickelte Lehrmittel «Was lese ich? – Journalismus verstehen» enthält interaktive Übungen und Vorschläge für Lektionen. Es wird laut Läderach monatlich zwischen 1600- und 1800-mal genutzt. Schulen können auch Medienschaffende in die Klasse einladen, die über ihre Arbeit sprechen; laut Läderach vermittelt der VSM durchschnittlich einen Schulbesuch pro Woche. Ausserdem verschickt er auf Anfrage hin Pakete mit Zeitungen und Zeitschriften für Schulklassen, ist Partner der europäischen Anti-Fake-News-Initiative «Lie Detectors» und Kommunikationspartner der «YouNews»-Medienwoche, die auf einer Initiative von SRG und Tamedia basiert.
Kräfte bündeln. Der VSM ist zudem Teil des neu lancierten Projekts «Newsroom – Wie Journalist:innen arbeiten», einem interaktiven Workshops für Schulklassen im Polit-Forum Bern. Dieser soll den Unterschied zwischen journalistisch produzierten und nichtjournalistischen Inhalten aufzeigen, er ist auf Initiative der Burgergemeinde Bern entstanden. Und ein weiteres neues Projekt ist in der Konzeptphase: VSM, Keystone-SDA sowie das Institut für Angewandte Medienwissenschaft (IAM) der ZHAW wollen gemeinsam einen «Hub» aufbauen, der laut Läderach «Kräfte im Bereich der Nachrichtenkompetenz bündelt».
Es gibt also eine ganze Reihe von Angeboten, neue kommen noch dazu. Konkurrenzieren sie sich? «Es kann sein, dass man ähnliche Themen abdeckt, aber Konkurrenten sind wir nicht», findet Läderach. Für Philippe Wampfler wäre «aktuelles, einheitliches Referenzmaterial» zwar super, doch: «Gerade weil Medienkompetenz so viele Facetten hat, braucht es wohl unterschiedliche Angebote, die das auch darstellen.»
Was laut Wampfler neben einheitlichem Referenzmaterial fehlt, sind «Verbindlichkeit und Zeit»: «Heute machen einige Lehrpersonen tolle Projekte in diesem Bereich, andere praktisch nichts, weil sie es sich nicht zutrauen oder anderes dringender ist.»
Bettina Büsser
Redaktorin EDITO
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