Seit neun Monaten betreibt SRF seinen ersten YouTube-Videoblog. Vloggerin ist Tama Vakeesan, Schweizerin mit tamilischer Migrationsgeschichte. Sie schafft einen sehenswerten Mix zwischen Lockerheit, Witz, Pose und Ernst über das Leben aus der Perspektive der SchweizerInnen mit Migrationshintergrund. Doch Ende Jahr ist es vorbei mit «Tama Gotcha!»
Von Bettina Büsser
«Lueg mi emou aa. Machi dir Angscht? Gseni bös us? Tueni di iischüchtere?» fragt sie in die Kamera. Dann zieht sie sich ein Kopftuch über und sagt: «Jetz hesch sicher Schiss vor mir, oder? Hesch Angscht? Wosch mer blöd cho?», grinst und fährt weiter: «Genou mit dem Seich wotti uufruume. Das isch nume e Schal, womer sich über de Chopf cha zie.»
Das ist das Intro eines YouTube-Videoblogs von Tama Vakeesan. Sie wird im Verlauf ihres Vlogs über das Kopftuch sprechen – aber nicht über DAS KOPFTUCH, das so viel zu diskutieren gibt, nein, sie wird mit zwei muslimischen Kolleginnen darüber plaudern, weshalb sie ein Kopftuch tragen, welche Reaktionen sie deshalb erleben, schliesslich werden die beiden an Tama verschiede Kopftuch-Moden zeigen. Denn das Kopftuch ist auch ein Accessoire. Die Botschaft: alles ganz normal. Dazu trägt nicht zuletzt bei, dass Tama das Kopftuch konsequent als «Chopftüechli» bezeichnet.
Seit Februar dieses Jahres gibt es den YouTube-Channel «Tama Gotcha!», seit dann gibt es jeden Freitag ein neues, rund fünfminütiges Video von Tama Vakeesan. Speziell am Channel ist, dass es sich um ein Projekt von SRF handelt – Vakeesan ist die erste SRF-YouTuberin – und, dass Menschen mit Migrationshintergrund und ihr Leben in der Schweiz im Zentrum stehen. Vakeesan, Langenthalerin mit tamilischer Migrationsgeschichte, zeigt in ihren Videos diejenigen, die in der Schweiz mit zwei Kulturen leben – oder mit einer, die aber nicht ausschliesslich schweizerisch ist. Und das kommt nicht im Stil «Wir sprechen jetzt über Migration» daher, sondern locker, unterhaltsam, im Gespräch mit einzelnen Personen.
Etwa mit dem schweizerisch-kongolesischen Stand-Up-Comedian Charles Nguela, mit Tri Nguyen, der ein Lager für schweizerisch-vietnamesische Jugendliche organisiert, mit der syrischen Asylsuchenden Ola Ahmed, die sich ihre Ausbildung als Laborantin mithilfe eines Crowdfundings organisierte, mit Corrado Pardini und Sibel Arslan, zwei Mitgliedern des Nationalrats mit Migrationshintergrund, oder mit Uğur Gültekin, dem früheren joiz-Moderator mit «Migrationsvordergrund». «Ich drehe die meisten Videos mit Kolleginnen und Kollegen oder zumindest Leuten, die ich kenne. Ich erzähle ihnen, was ich vorhabe, führe Vorgespräche. Und es ist klar, dass sie es sehen können, bevor es auf YouTube gestellt wird, sie müssen sich damit wohl fühlen», sagt Tama Vakeesan gegenüber EDITO. «Tama Gotcha!» nimmt das Publikum auch mit in den Tempel und die Moschee, zu einem libanesischen Autohändler oder zu einer tamilischen Make-Up-Spezialistin. Und verhilft ihm so zu einem Blick auf Personen oder Szenen, zu denen es bisher wohl eher wenig Zugang hatte.
Vakeesan war bereits vor dem Start von «Tama Gotcha!» als Moderatorin von joiz bekannt. Die 29-Jährige hatte ursprünglich eine Lehre als Bankfachfrau abgeschlossen – «auch, weil meine Mutter das wollte» – und danach im Beruf gearbeitet, mit Ausrichtung auf Vermögensberatung. Sie habe gut verdient, in einem tollen Team gearbeitet, sagt sie heute, aber dennoch das Gefühl gehabt, es fehle etwas. Sie entschied sich dafür, Lehrerin zu werden, und hatte den Vorbereitungskurs für die Pädagogische Hochschule bereits absolviert, als die Möglichkeit kam, sich beim Jugendsender joiz zu bewerben: «Sie haben mich tatsächlich genommen, obwohl ich keine Erfahrung hatte.» Drei Jahre lang arbeitete sie dort, moderierte, interviewte: «Bei joiz hiess es einfach: Mach mal. Es war eine richtige Spielwiese.» Doch dann kam der Konkurs des Senders. Vakeesan war auf der Suche nach einer neuen Arbeit, als sich Meili Dschen von SRF bei ihr meldete und ihr von dem Projekt erzählte, einen YouTube-Vlog aufzuziehen.
«Sie lebt diesen Zwiespalt und ist total authentisch»
Laut Meili Dschen, SRF-Redaktorin und Produzentin «Kulturplatz», entstand der Impuls, etwas zum Thema Migration zu machen, durch die «Kulturplatz»-Sendung im Januar 2016, die zum Teil von Migranten gemacht wurde: «Danach haben wir über ein mögliches Format für Migrantinnen und Migranten diskutiert. Es ist schwierig, ein neues TV-Format zu lancieren, deshalb habe ich über ein Online-Format nachgedacht und kam schliesslich auf den YouTube-Kanal.» Denn SRF sei sehr offen für Entwicklungen auf digitalen Kanälen, man möchte so ein junges Publikum erreichen. Sie habe mit mehreren möglichen YouTubern gesprochen und schliesslich Tama gefunden: «Sie lebt diesen Zwiespalt, setzt sich damit auseinander und ist total authentisch. Ausserdem hatte sie durch ihre Arbeit bei joiz bereits eine grosse Community.»
Den «Zwiespalt» thematisiert Vakeesan im Vlog immer wieder; er ist quasi Teil des Projekts: Sie mache Videos «über mein Leben zwischen zwei Kulturen» heisst es in Vakeesans Beschreibung des Vlogs, und so ein Leben könne «mega nervenaufreibend sein, weil ich manchmal nicht weiss, wohin ich gehöre». Andererseits sei es aber auch eine riesige Bereicherung, «denn ich habe gelernt, offen zu sein für andere Kulturen».
«So weisst du bereits als Kind, dass du anders bist»
«Es ist offensichtlich: Ich bin eine braune Schweizerin», sagt Vakeesan: «Ich kann nicht als Italienerin oder Tessinerin durchgehen.» Die Leute hätten sie schon immer darauf angesprochen, gefragt, woher sie komme: «Und wenn du dann antwortest aus Langenthal, sagen sie: ‚Aber woher kommst du wirklich?‘ So weisst du bereits als Kind, dass du anders bist. Ein Viertel der Schweizer Bevölkerung hat einen Migrationshintergrund. Ich möchte diese Vielfalt in meinem Channel zelebrieren, denn sie ist eine grosse Stärke der Schweiz.»
1700 Personen haben den Vlog abonniert. «‘Tama Gotcha!‘ hat eine hohe Zuschauerbindung, die Leute schauen die Videos zum grossen Teil bis zum Schluss an, über 80 Prozent der Leute, die schauen, sind unter 35», sagt Meili Dschen: «Wir erreichen also unsere Zielgruppe. Allerdings ist Migration natürlich nicht das grosse, publikumswirksame Thema, das zeigt sich bei der Reichweite.» In den Kommentaren zu den Videos zeigt sich auch, dass viele mit Migrationshintergrund «Tama Gotcha!» schauen. «Ich tue au immer tempel gah wenn mich mini eltere mit schleppet ????????», heisst es da etwa, «omg I feel you! sone kanal hani sit ewigkeite gsuecht 😀 xx» oder «????Du redisch us minere Seele ???? ich has gliche problem und das als Schwiiz/Serbin». «Wow super wie du multikulturelle in die gute Stube bringst, ????????», lobt einer, ein anderer findet zu einem Beitrag «Super- wie immer! (gilt auch für Kompostis mit fürchterlichen 72 Jahren)».
«Heb d’Schnure, Tama», kommentiert «Willhelm Tell»
Aber auch ein «Willhelm Tell» meldet sich und postet «heb d’Schnure, Tama». Mit dieser Haltung ist er allerdings eine grosse Ausnahme: «Ich musste noch nie einen Kommentar löschen, weil ich persönlich angegriffen wurde oder jemand etwas Rassistisches geschrieben hat. Das hat mich erstaunt», sagt Vakeesan, zu deren Job es gehört, ihre Community zu managen, und: «Ich versuche, auf jeden Kommentar zu reagieren. Wenn du einen Channel willst, auf dem die Leute aktiv sind, musst du auch aktiv sein. Es gibt Leute, die jedes Mal kommentieren, das finde ich mega härzig.»
Manchmal sind auch die Videos eher «mega härzig», etwa wenn es darum geht, ob die griechische Mutter besser kocht als die tamilische Mutter, welche Art Autofahrer nervt oder wie toll – «herrlich durchschnittlich» – Langenthal ist. Andere haben einen etwas informativeren Touch, so etwa der Besuch beim «Femmes Tisch»-Treffen von interunido, bei dem sich Frauen mit Zuwanderungsgeschichte in Diskussionsrunden mit Fragen zu Erziehung, Lebensalltag und Gesundheit auseinandersetzen. Wieder andere sind politischer, so etwa wenn der tunesisch-schweizerische Mondher erzählt, wie er von der Polizei kontrolliert wird – ohne Grund, nur seines Aussehens wegen. Oder wenn Vakeesan den Sektionspräsidenten der SVP Interlaken an die SVP Delegiertenversammlung begleitet und, als dieser von der «Problematik mit Leuten, die sich im Stillen vermehren» spricht, mit einem «Du sprichst von Ausländern, als wären sie eine Seuche» reagiert. Oder wenn sie, die selbst mit ihrer Familie als Kleinkind aus Sri Lanka in die Schweiz geflüchtet ist, gemeinsam mit ihrem Bruder ein Flüchtlingsheim besucht.
Bei diesem Video zeigt sich eine der grossen Stärken des Projekts besonders: Der Besuch im Flüchtlingsheim wirkt nicht traurig und schwer – Hauptfigur ist nämlich ein Flüchtlingsbub aus Syrien; er flitzt strahlend durch das Heim, erklärt alles und ist sichtbar stolz auf seinen Auftritt vor der Kamera. Ausserdem spielt, wie in allen anderen Videos, die Person Tama Vakeesan dabei eine wichtige Rolle: Sie strahlt, sie lacht, sie gestikuliert, reisst die Augen auf und sprudelt und schwatzt und fragt und redet. Eigentlich über alles: «Jeder, der meinen Vlog kennt, weiss, dass ich noch daheim in meinem Kinderzimmer wohne, noch nie einen festen Freund hatte. Das stört mich nicht. Denn es ist in der YouTube-Welt normal, dass man sehr persönlich von sich erzählt», sagt sie.
In die YouTube-Welt passen auch die «Tama Gotcha!»-Videos, mit schnellen Schnitten, eingeblendeten Bildern, Filmen, Symbolen, die das Gezeigte kommentieren oder auch karikieren, es unruhig, aber auch lebendig wirken lassen. «Meili und ich haben den Vlog gemeinsam entwickelt, wir haben jedes Mal Neues dazugelernt, dass es lustige Einspieler braucht etwa oder noch eine zweite Handlung», sagt Vakeesan. «YouTube funktioniert anders als TV. Wir haben die typische YouTube-Ansprache entwickelt, in Ästhetik, Inhalt, Storytelling, Dramaturgie», so Meili Dschen. Die Thematik der Videos und die Storyline überlegen sich die beiden jeweils gemeinsam, «Tama filmt selbst, ich unterstütze sie beim Ton, indem ich externes Mikrophon laufen lasse. Danach schneide ich das Material gemeinsam mit einem Cutter».
Preis gewonnen – aber «Tama Gotcha!» wird eingestellt
An den Zuger Filmtagen hat «Tama Gotcha!» am Event YouTube@Zug – Auszeichnungen für die überraschendsten Schweizer YouTube-Kanäle des Jahres – einen Preis gewonnen. Dennoch: Ende Jahr ist es vorbei mit dem SRF-Experiment: «Tama Gotcha läuft auf jeden Fall bis Ende 2017. So war es von Anfang an vertraglich geplant. Für die Zeit danach ist das Projekt aber nicht gesichert. SRF prüft derzeit in verschiedenen Abteilungen, wie YouTube als publizistischer Kanal am besten genutzt werden kann. Ich muss aber leider davon ausgehen, ‚Tama Gotcha‘ im Jahr 2018 nicht fortsetzen zu können», so die Stellungnahme von Achim Podak, Bereichsleiter Wissen und Gesellschaft, Abteilung Kultur SRF.
Tama Vakeesan hat in der Zwischenzeit beim Portal Nau einen neuen Job als Reporterin. «Tama Gotcha!» wird sie aber dennoch bis Ende Jahr weiterführen.
Bettina Büsser
Redaktorin EDITO
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