Ob Wasiliki Goutziomitros die Tagesschau moderiert oder Claudio Spescha, ob Redaktionskollegin Biljana Gogic einen Beitrag liefert oder ich: Ich bin sicher, kein Mensch staunt dabei über unsere Deutschkenntnisse. Man folgt dem Inhalt, ob Sessionsbericht oder Libanon-Beitrag. Gut und richtig so.
Denn auch wenn wir zuhause kein Wort Deutsch sprachen, sondern Griechisch, Rätoromanisch, Bosnisch, Dänisch oder Katalanisch: Wir sind im SRF gelandet. Weil wir neugierig sind, interessiert am Zeitgeschehen, Freude haben an Bild und Ton, am Texten und an Live-Schaltungen. Wir können dabei die Sprache so gut oder schlecht wie alle anderen. Wir genossen genauso das Schweizer Bildungssystem.
Warum ich das sage? Weil mich nach 20 Jahren in der Medienbranche irritiert, dass in einem Stelleninserat nebst Flexibilität und Belastbarkeit gefordert wird: «deutsche Muttersprache». Kürzlich so gesehen, es ging um eine Bundeshaus-Korrespondentenstelle.
«Dieses Kriterium schliesst viel zu viele aus; das kann nicht im Interesse eines Unternehmens sein.»
Klar, man sollte das locker nehmen statt wörtlich. Gemeint war wohl: Man soll sehr gut deutsch formulieren können, auch wenns pressiert, der Sachverhalt komplex ist. Heute hätte ich die Lockerheit, über das überholte Konzept Muttersprache hinwegzusehen. Ich hätte sogar die Chuzpe, die potenzielle Arbeitgeberin anzurufen und es anzusprechen: Das Kriterium schliesst viel zu viele aus; das kann nicht im Interesse eines Unternehmens sein.
Die Lockerheit hatte ich aber nicht Anfang zwanzig, als sich mein Berufswunsch herauskristallisierte. Mag sein, dass ich an der Frauenkrankheit litt, mich erst zu bewerben, wenn ich jeden Punkt im Stelleninserat erfüllte. Mag sein, dass die fehlende Lockerheit mit meiner Erfahrung aus der Einbürgerung zu tun hatte. Sie verlief problemlos, hinterliess aber Spuren: Dieses Land sagte mir letztlich, dass ich mir das Schweizersein «verdienen» musste.
Auch wenn der Fremdenpolizist bei seinem Spontanbesuch freundlich war: Ich musste beweisen, dass ich dazugehöre. Ja, ich liefere das Handarbeitszeugnis nach. Ja, mit meinen Brüdern rede ich Mundart. Ja, ich lernte es beim Spielen in der Göhnersiedlung und im Chindsgi bei Fräulein Kipfer, im Zusatzunterricht für Fremdsprachige. Solche Dinge prägen. Sollte ich später im CV, kleine Notlüge, Deutsch einfach zu den Muttersprachen zählen? Erhöht die Chancen, erspart Erklärungen.
Die Formulierung im Inserat der SDA tat weh, weil ausgerechnet sie mir einst den Einstieg in den professionellen Journalismus ermöglicht hatte, mit Stage, MAZ und vielem mehr. Ich verdanke ihr viel. Sie traute mir den Journalismus zu.
Und nun traue ich meinerseits sämtlichen Medien-Personalchefs ein kleines Learning zu: Ersetzt in den Job-Profilen die «deutsche Muttersprache» durch «stilsicheres Deutsch». Auf dass nicht eine nächste junge Frau zögert, sich zu bewerben, nur weil sie Tigrinya sprach, bevor sie Deutsch lernte. Wir sollten sie nicht unnötig ausschliessen. «Diversity», sagt man, steht für Qualität und Zukunft.
3 Kommentare
#1
Auch muss gesagt werden: Muttersprache Deutsch heisst inzwischen leider nicht mehr, dass mit diesen Personen intellektuelle Hochflüge einhergehen oder die Story besonders eloquent daherkommt. Wie auch...dank Twitter, Instagram und Facebook...kurz und oberflächlich, viel Bilder. Basta.
#2
Schlussfolgerung: mehr Wasilikis braucht die Schweiz!
Liebe Grüsse von Peter Furrer, Zürich
#3
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21.09.2020