Werden auch bei den privaten Radiostationen die redaktionellen Leistungen bei der Lokalberichterstattung reduziert, weil die Werbeeinnahmen sinken? Die von EDITO angefragten Stationen verneinen. Das Lokale bleibe die «Raison d’être».
Von Robert Bösiger
Ein Minus von 31 Prozent. Um so viel sei die Regionalwerbung bei Radio Rottu im Vergleich zum Vorjahr eingebrochen, sagt Chefredaktor Michel Venetz auf Anfrage von EDITO. Bei der nationalen Werbung fällt das Minus von 12 Prozent vergleichsweise moderat aus beim Oberwalliser Lokalradio.
Radio Rottu: Seriöser Journalismus
Radio Rottu ist seit 1990 auf Sendung und darf mit Fug und Recht (und unterlegt durch Daten der SRG-Lokalradio-Studie) als Medien-Platzhirsch im Oberwallis bezeichnet werden. So gesehen mag Venetz bezogen auf «rro» nicht von einer Medienkrise sprechen – im Gegenteil: «Seit Ausbruch der Corona-Krise stellen wir fest, dass bei der Oberwalliser Bevölkerung die Nachfrage nach seriösem Lokaljournalismus sehr gross ist.» Die Hörer und User wollten Einordnung und seriös aufbereitete Nachrichten und Berichte.
Seine Station sei bestrebt, als multimediales Medienunternehmen «ein journalistisches Service-public-Angebot» anzubieten. «Deshalb», so Michel Venetz, «berichten wir umfassend über das wirtschaftliche, sportliche, politische und gesellschaftliche Geschehen in der Region.» Zumindest bei Radio Rottu sei also keine Rede von einer Ausdünnung im Regional- und Lokaljournalismus. Stellen würden keine abgebaut, vielmehr setze sein Betrieb auf verstärkte Aus- und Weiterbildung der Teammitglieder. Gemäss Venetz sind auch keine Qualitätseinbussen in der täglichen lokalen Berichterstattung festzustellen. Von einer Entlokalisierung sei nichts zu spüren im Wallis: «Die Bevölkerung will seriösen und guten Lokaljournalismus und ein Radio, das ihre Sprache spricht.»
Radio Basilisk: Hörgewohnheiten im Wandel
Wie beurteilt man bei urbaneren Radiostationen die Situation? EDITO hat bei Matthias Hagemann, dem ehemaligen Verleger der Basler Zeitung und heutigem Besitzer von Radio Basilisk, nachgefragt. Obwohl auch Basilisk im Coronajahr einen Einbruch der Werbeeinnahmen im Umfang von rund 20 Prozent zu verkraften hatte, habe dies keinerlei Einfluss auf die lokale Berichterstattung, sagt Hagemann. «Als konzessionierter Sender haben wir einen Leistungsauftrag (ohne Gebühren), der uns zu einer fixen täglichen Minutenzahl lokaler Berichterstattung verpflichtet, und dem kommen wir nach.» Schliesslich sei dies auch «unsere Raison d’être neben der übermächtigen SRG».
Hagemann glaubt stattdessen eine momentane Interessenverlagerung der Hörer weg vom Lokalen hin zum Nationalen und Internationalen beobachten zu können. Mit einem Beispiel verdeutlicht er dies: «Das neue Abfallreglement von Basel oder die Baustellen der Stadt interessieren in Zeiten von Impfkampagnen, Lockdowns und Horrorbildern aus Indien halt logischerweise weniger.» Die berühmte Ausnahme von der Regel sei das «Cabaret beim FCB» gewesen, sagt er augenzwinkernd.
Auch Matthias Hagemann möchte nicht von einer Medienkrise sprechen und auch nicht von einer Entlokalisierung der Medien. Das Problem sei nur die Corona-Pandemie und deren Folgen. Die wirtschaftlichen Einbussen hätten durch ein striktes Kostenmanagement und durch Reserven aus besseren Jahren aufgefangen werden können, ganz ohne Entlassungen bisher. Aber: «Was uns schmerzt, ist der coronabedingte Hörerverlust durch Home Office und geänderte Gewohnheiten. Wer vorher noch kein Spotify und einen Netflix-Account hatte, hat dies jetzt …». Man könne nur hoffen, dass die alten Gewohnheiten möglichst vollumfänglich zurückkehren, wenn sich die Lage wieder normalisiere. Doch Hagemann ist skeptisch: «Darauf wetten möchte ich nicht.»
Canal 3: Zweisprachig auf Erfolgskurs
Die Bieler Radiostation Canal 3 spürt gemäss Geschäftsführer Kevin Gander keinen Werberückgang: «Wir sind regional stark verankert und legen einen starken Fokus auf regionale Kunden.» Die Schwankungen am nationalen Markt würden sich daher nicht 1 zu 1 auf Canal 3 auswirken.
Gander, der gleichzeitig auch TeleBielingue leitet, spricht davon, dass der regionale Fokus in der Berichterstattung in letzter Zeit «deutlich geschärft» worden sei. Gander: «Wir sind in der Region sichtbar präsenter geworden.» Canal 3 berichte mehr über die Region als je zuvor. «Und wir berichten so, dass die Inhalte besser gehört werden», so Gander.
VSP: Programm und Marke massgebend
«Radio ist nicht so sehr in der Krise als vielmehr im Wandel», bilanziert Jürg Bachmann. Laut dem Präsidenten des Verbandes Schweizer Privatradios (VSP) sind vorwiegend jene Radiostationen etwas am Leiden, die sich primär auf lokale und regionale Werbung abstützen. Vor allem fehlten coronabedingt die lokalen Messen, Ausstellungen und Events, die in normalen Jahren im Frühling stattfanden – «und natürlich auch Konzerte und andere Feste». Die nationale Werbung, so Bachmann, halte sich indes recht gut.
Bachmann ist überzeugt, dass jedes Privatradio in dieser angespannten Zeit in sein Programm und seine Marke investiere. Denn letztlich sei die Bindung der Hörerinnen und Hörer an Programm, Moderationsteam und Marke ausschlaggebend für die Reichweite und die Hörertreue. Und weil ein Privatradio lokal verankert sei, setze «jedes Radio viel daran, die lokale und regionale Berichterstattung auch in schwierigeren Zeiten zu pflegen». Bachmann: «Ich höre nicht, dass diese vernachlässigt werde, und stelle das auch selber nicht fest.»
Auslaufmodell UKW
Die SRG will ihre UKW-Sender im August 2022 abschalten. Die privaten Stationen sollen spätestens Anfang 2023 folgen. Darauf haben sich die Radiobranche und das BAKOM geeinigt. Die analoge UKW-Technologie soll durch das digitale DAB+ ersetzt werden.
Gegen diese Massnahme regt sich heftiger Widerstand: Radiopionier Roger Schawinski kritisiert die geplante Einstellung der UKW-Sender in der Schweiz; bereits haben 47 000 Personen seine Online-Petition «Rettet UKW» unterschrieben.
Was der Umstieg für die Hörergewohnheiten und -zahlen einerseits, für die Werbeeinnahmen andererseits bedeutet, ist derzeit jedoch noch unklar. Ebenfalls offen ist die Frage, welche Folgen die Digitalisierung hinsichtlich der redaktionellen Angebote haben wird. Könnte es – wie bei den Printmedien – zu einer Entlokalisierung kommen?
Bei der Radiowerbung gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass das Lokale an Bedeutung einbüssen wird. So äusserte sich Anja Hänni vom Agenturnetzwerk Dentsu Switzerland an einer kürzlich stattgefundenen Onlinetagung folgendermassen: «Heute buche ich Radiosender, morgen interessiert es mich nicht mehr, auf welchem Sender mein Spot ausgestrahlt wird, sondern an wen.» Dafür brauche es die ganze Branche und nicht (mehr) die einzelnen Sender.
Die Transformation hin zum Digitalradio scheint auf gutem Weg zu sein, wenn man auf die Zahlen der Radionutzung abstellt: So liegt die Radionutzung auf digitalem Weg hierzulande bereits bei 73 Prozent.
41 von 100 gehörten Radiominuten geschehen über DAB+ und 32 Minuten via IP (also über Computer, Tablet und Smartphone), wie Iso Rechsteiner, Projektleiter der Arbeitsgruppe Digitale Migration (DigiMig) anlässlich der gleichen Veranstaltung sagte. Während vor sechs Jahren, also 2015, noch
51 von 100 gehörten Radiominuten über UKW erfolgten, seien es im Herbst 2020 noch deren 27 Minuten gewesen.
Diese Zahlen sind nahezu identisch mit jenen, die das Marktforschungsinstitut GfK Switzerland erhoben hat. Demnach soll der Anteil jener Radiohörerinnen und -hörer, die Radio auf digitalem Weg empfangen, derzeit bei mindestens 71 Prozent liegen. Und auch im Auto werde die letzte UKW-Bastion bald fallen, heisst es.
Der Umzug zur DAB+-Technologie werde nicht zu einem Abbau der lokalen Berichterstattung führen, ist Jürg Bachmann, Präsident des Verbandes Schweizer Privatradios, überzeugt: «Hörerinnen und Hörer, die sich bis jetzt von ihrem Radio haben begleiten lassen, werden dies auch in Zukunft tun – unabhängig davon, über welche Technologie es verbreitet wird.»
aus: EDITO 2/21 (Fokus-Thema Lokaljournalismus)
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