Der Gewerbeverband diffamiert die RTVG-Revision als Steuerfalle. Aber die Falle des Nein-Komitees schlägt eher auf Radio- und Fernsehen. Dennoch haben sich einige Redaktionen und Journalist-innen dem Nein angeschlossen. Wir nicht. Von Philipp Cueni
Die RTVG-Abstimmung hat eine heftige medienpolitische Diskussion ausgelöst. Gut so! Aber wird auch über das Wesentliche debattiert? Auf welchem Level? Und welche Rolle spielen die Medien selbst?
Vorweg: Die drei Journalistenorganisationen impressum, syndicom und SSM – Herausgeber von EDITO+KLARTEXT – haben die Ja-Parole zur RTVG-Vorlage gefasst, und auch EDITO+KLARTEXT vertritt ein Ja. Doch aus Gesprächen mit Kollegen und aus der Zeitungslektüre wird deutlich, dass manche Journalisten für ein Nein eintreten. Eine interessante Ausgangslage.
Befeuert wird die Debatte vor allem durch den Gewerbeverband. Er kritisiert, dass "die Wirtschaft" mit dem neuen System um etwa 200 Mio. Franken zusätzlich belastet werde. Das ist legitime Interessenvertretung. Doch dagegenzuhalten sind die Interessen jener, die von der neuen Ordnung profitieren – etwa 95 Prozent der Haushalte, 86 Prozent der Gewerbebetriebe, die Bauern, die Restaurants, usw..
Viel Pulverdampf. Der Gewerbeverband führt eine emotionale Debatte mit Falschinformationen, Halbwahrheiten und Unterstellungen. Er schiesst damit weit übers Ziel hinaus und versucht, einen gesellschafts- und wirtschaftspolitisch konservativen Diskurs anzuschieben. Dafür investiert er sehr viel Geld, und pulvert aus allen Rohren gegen die SRG, ihre Programme und ihre Mitarbeitenden – obwohl es bei der Abstimmung ja eigentlich gar nicht um die Programmgestaltung der SRG geht, sondern um die Frage, wie die Radio- und Fernsehgebühren künftig erhoben werden. Das sollte zu denken geben – und wäre auch ein interessantes Medienthema. Das war es lange Zeit nicht, in den letzten 10 Tagen dann teilweise doch.
Selbstverständlich hat das neue Gesetz auch Nachteile und Schönheitsfehler – wie alle anderen Gesetze auch und die bisherige Gebührenordnung besonders. Es gibt einige Ungerechtigkeiten – gegenüber den konsequent Radio- und/oder TV- Abstinenten, gegenüber Kleinunternehmen mit hohem Umsatz. Aber nüchtern betrachtet muss man sagen: Das neue System ist weniger bürokratisch und bringt für die übergrosse Mehrheit tiefere Gebühren. Dieses sachliche Abwägen geht in der medialen Debatte unter.
Und ja, das neue System hat einen klaren Gewinner: die privaten Radio- und TV-Stationen. Mögliche 27 Millionen mehr an Gebühren pro Jahr und 45 Millionen zur Förderung von Technologie sowie für Aus- und Weiterbildung. Etwas grundsätzlicher: Ohne Gebührengelder könnte ausser TeleZüri wohl keines der Regionalfernsehen überleben.
Aber all das ist aktuell höchstens ein Nebenthema. Es wird bei der RTVG-Debatte einzig über die SRG diskutiert. Dem Gewerbeverband und der SVP ist es gelungen, thematisch die Agenda vieler Medien zu bestimmen.
Keine Frage: Die SRG soll so viel und so hart kritisiert werden, wie eben Medien kritisiert werden müssen. Also quasi permanent. Und selbstverständlich soll der Service public heftig diskutiert werden. Aber ist die RTVG-Revision der richtige Anlass und die aktuelle Abstimmung der richtige Zeitpunkt? Kaum, denn die Eidgenössische Medienkommission und der Bundesrat bereiten bekanntlich grössere Berichte dazu vor, damit diese Debatte geführt werden kann.
Und ist es fair, diese Diskussion über ein SRG-Bashing zu führen in einer Situation, bei welcher man der SRG und ihren Mitarbeitenden von vornherein einen Maulkorb verpasst? Ich meine, die Service public-Debatte muss heftig, aber anders geführt werden. Ohne Drohszenarien. Aber ich fürchte, Gewerbeverband und Co. haben es bereits geschafft, die Diskussion zu vergiften, bevor sie überhaupt seriös begonnen hat.
System zerschlagen. Bei allem Verständnis für unterschiedliche Auffassungen zum Schweizer Mediensystem, zum Service public und zur SRG: Warum lassen sich viele Medien bei diesem Thema die Diskussion vom Gewerbeverband diktieren?
Der Gewerbeverband schlägt gegen Gebühren los, ist aber daran, das Radio- und Fernsehsystem zu zerschlagen. Aus der Optik vieler Medienschaffenden sind zudem die frei erfundenen Behauptungen aus dem konservativen Lager störend. Zum Beispiel, dass die Gebühren innert Kürze auf 1000 Franken steigen würden, weil die SRG vermehrt auf Eigenproduktionen setzen wolle und dafür Geld brauche. Abgesehen davon, dass Bundesrat wie SRG eine absehbare Erhöhung der Gebühren klar und deutlich ablehnen: Solche Unterstellungen schmerzen all jene SRG-Mitarbeitenden, welche erleben, wie – etwa durch die laufende Automatisierung – Kosten gespart und Stellen abgebaut werden.
Aus diesen Überlegungen vertrete ich ein Ja.
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