Das neueste Positionspapier der Eidgenössischen Medienkommission (EMEK) zur Medienförderung stimmt nachdenklich. Während Unterstützung noch nie so zwingend erschien, setzt die Kommission auf Langfristigkeit. Frankreich ist reaktionsfreudiger.
Von Alain Meyer
Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, in welche Richtung es gehen sollte», sagte Anna Jobin, die Präsidentin der EMEK, nach der Veröffentlichung des Positionspapiers zur Medienförderung in der Sendung Médialogues von RTS. Das war Mitte Januar. Fast scheint es, als hätten die Medien in der Schweiz alle Zeit der Welt, während ihre Ausgaben (für Papier, Post, Strom usw.) kontinuierlich steigen.
Mehr als ein Jahr nach der Ablehnung des Massnahmenpakets des Bundes ist die Not aber nur dringender geworden. Sollte man der Schweizer Medienlandschaft nicht so rasch wie möglich frischen Wind verleihen, anstatt sich über die journalistische Qualität Gedanken zu machen? Die Printmedien müssten die Möglichkeit erhalten, ihre Redaktionen auszubauen, sich neu aufzustellen und ihr Geschäft zu stabilisieren.
Wütende Radio- und TV-Sender. Der Trend aber geht in eine andere Richtung: Immer weniger Seiten, Titel werden zusammengelegt und ausgedünnt – es wird gespart. Seit Jahresbeginn häufen sich die schlechten Nachrichten. Angesichts der Explosion von Online-Plattformen und Blogs geht Anna Jobin davon aus, dass die künftige Förderung «technologieneutral» und unabhängig von den Produktionsmethoden sein sollte. Der Inhalt soll im Vordergrund stehen und nicht das Medium, über das er verbreitet wird. Doch diese Argumentation hat bereits viele regionale Radio- und TV-Sender veranlasst, auf die Barrikaden zu steigen; sie fühlen sich vom vorgeschlagenen Konzept benachteiligt oder sogar komplett vergessen.
Für Pierre Steulet von der BNJ-Gruppe, den Chef der Radiosender im Arc jurassien, «besteht die Gefahr, dass sich die Medien nun gegeneinander ausspielen werden». Er sieht im Papier einen Paradigmenwechsel, der seiner Meinung nach «die Printmedien und die SRG begünstigt, ohne die Realitäten der Medienwelt zu berücksichtigen». Er fordert konkrete finanzielle Unterstützung und «ein intelligentes Vorgehen, um die Weiterentwicklung der Medien zu fördern».
Idealisierte Vielfalt. Auch in der Deutschschweiz machen die Verlegerinnen und Verleger ein düsteres Gesicht. Andrea Masüger, der neue Präsident des Verbandes Schweizer Medien, betonte kürzlich, dass die Unterstützung «den kleinen und mittleren Verlagen ermöglichen sollte, den digitalen Wandel zu vollziehen». Ohne Unterstützung dagegen drohe eine «schleichende Resignation». Er setzt stattdessen auf Leistungsschutzrechte, die durch die Übernahme von Inhalten durch Plattformen wie Google oder Facebook entstehen könnten.
Die EMEK betont die Wichtigkeit der Vielfalt und Pluralität der Stimmen in der Medienlandschaft; sie muss gewährleistet sein, um der Demokratie gerecht zu werden. Davon entfernt sich die Schweiz aber immer mehr. Ein kürzlich im Arc jurassien beobachteter Zusammenschluss von zwei wichtigen regionalen Radiosendern – Canal 3 in Biel und Radio Jura bernois in Tavannes – zeigt das Gegenteil. Eric Meizoz, Verwaltungsratsdelegierter der Gassmann-Gruppe in Biel, nannte als Grund für die Fusion unter anderem die schwindenden Werbeeinnahmen. Ein Schauspiel, das sich in der Schweiz seit gut 20 Jahren wiederholt.
Geld ist tabu. Anna Jobin und die Expertinnen und Experten der EMEK wollen keine Summen beziffern, die nötig wären, um die Branche wieder flottzumachen. «Es ist schwierig, konkrete Beträge zu nennen», meinte Jobin gegenüber RTS. Ein Geldfluss für die Medien könnte «auf Grundlage der Bevölkerungsanteile» erfolgen, meinte sie einzig. Im Positionspapier der EMEK wird zudem die Idee erwähnt, einen einheitlichen Mindestanteil der Betriebskosten eines Mediums zu übernehmen.
Wer soll das Geld verteilen? Eine Stiftung oder der Presserat, so munkelt man.
Zu einer Zeit, da der Verdacht besteht, dass während der Coronapandemie Verbindungen zwischen dem Eidgenössischen Departement des Innern und der Ringier-Gruppe bezüglich der Weitergabe vertraulicher Informationen bestanden, erlaubte sich die EMEK dann auch noch eine Binsenweisheit: Der Staat als alleiniger Beitragszahler und alle anderen Geldquellen müssten möglichst unabhängig von jeglichem Einfluss auf den Inhalt bleiben. Wer wird also morgen dieses Geld – wenn es denn jemals fliessen sollte – unabhängig verteilen? Man munkelt, dass eine Stiftung oder der Schweizer Presserat die ideale Lösung dafür wären.
Lokale Medien zuerst. Unter ähnlichen Vorzeichen wurden im vergangenen Jahr auch in Frankreich Überlegungen angestellt. Diese konzentrierten sich auf die Gegenwart. Die Frage lautete: Wie können Medien, die sich nach zwei Jahren Pandemie in einer strukturellen Krise befinden, unterstützt werden? Im Dezember veröffentlichte das französische Kulturministerium einen 40-seitigen Bericht mit dem nüchternen Titel «Presse und Medien 2023». Auch darin wird das Schreckgespenst des Verlusts vielfältiger Medien und Meinungen heraufbeschworen.
Jean-Baptiste Gourdin, Autor des Berichts und Generaldirektor Medien und Kulturindustrie bei der Regierung, betonte, dass lokale Medien und ihre territoriale Verankerung die Lösung für den «sozialen Zusammenhalt» sein könnten. Im Bericht, der EDITO vorliegt, heisst es, man müsse «den Menschen in städtischen und ländlichen Gebieten eine Stimme geben und so eine lebendige Debatte fördern».
In Frankreich werden Web-TV, Web-Radios und Blogs, die von Normalbürgerinnen und -bürgern produziert werden, mit 1,8 Millionen Euro pro Jahr unterstützt. Das sind, so steht im Bericht, quasi neue Medien, die von einer sogenannten «partizipativen» und «nicht professionellen» Bevölkerung gemacht werden. Frankreich will nach den Erfahrungen in der Coronazeit eine gezielte Politik für «soziale Informationsmedien aus der Nachbarschaft» betreiben. Dazu kommt die Unterstützung des lokalen Rundfunks durch ein immer dichter werdendes Netz von Vereinsradios.
Entwicklungsfähige Hilfe. Im Bericht des französischen Kulturministeriums ist auch die Rede davon, die Printmedien zu stärken, damit sie sich ausserhalb der Grenzen Frankreichs besser verbreiten können. Zu diesem Zweck soll «die Entwicklung ihrer Verbreitung auch im Ausland» unterstützt werden. Vergebens sucht man etwas Ähnliches in der Schweiz.
Im August 2020 äusserte sich der französische Präsident Emmanuel Macron besorgt über die Probleme der Printmedien während der Pandemie. Ähnlich bekümmerte Worte vonseiten des Bundesrates blieben hierzulande aus. Macron kündigte einen «Unterstützungsplan» mittels staatlicher und europäischer Mittel an, um die ökologische und digitale Transformation zu unterstützen. Für Paris ist klar: Die Presseförderung muss «entwicklungsfähig bleiben», um auf aktuelle Notlagen reagieren zu können. Drei Säulen sollen dabei im Fokus stehen: Hilfe bei der Verbreitung der Inhalte, Förderung der Meinungsvielfalt und der Modernisierung.
Die finanzielle Unterstützung für Tageszeitungen mit geringen Werbeeinnahmen wurde in Frankreich in diesem Jahr um 1,2 Mio. Euro erhöht. Die Mittel für die Unterstützung der Meinungsvielfalt wurden auf über 23 Millionen Euro erhöht; 2017 betrugen sie noch 16 Millionen Euro. Der Staat vergibt auch Stipendien, um neue Titel bei der Lancierung zu unterstützen. Beim Vertrieb von Tages- und Wochenzeitungen will Paris die Abhängigkeit von der Post verringern, indem es Anreize für Hauszustelldienste schafft und gleichzeitig eine Stabilisierung der Posttarife für alle Titel anstrebt.
Frankreich hat inzwischen sogar endlich eine Beobachtungsstelle eingerichtet, die «über die Qualität des Vertriebs der abonnierten Presse» wacht. Und den Kiosken wurde eine indirekte Hilfe gewährt: Steuerabzüge und Erleichterungen bei der Mehrwertsteuer.
In der Schweiz, wo das Dossier kaum vom Fleck kommt und Medien sterben, fordert die Linke mit Nachdruck «Übergangshilfen». Auf der rechten Seite will Thierry Burkart, FDP-Präsident, weiterhin auf ein System setzen, in dem der Wettbewerb die Medienlandschaft reguliert. Zwei Länder, zwei Visionen von Demokratie.
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