Ob «Weltwoche»-Cover oder der aggressive Biber von Schaffhausen:
Die Sauregurkenzeit hat die Schweizer Medien dieses Jahr hart getroffen.
Das Sommerloch. Dieser Begriff deutet an, dass die Medien während der Urlaubszeit mit einem akuten Mangel an interessanten und relevanten Nachrichten zu kämpfen haben. Zahlreich sind sodann die Geschichten von entlaufenen Tieren und umgekippten Reissäcken in China.
Dieses Jahr hat das Sommerloch zuweilen sehr seltsame Blüten getrieben. So verschickte Mitte Juni «20 Minuten» eine Push-Meldung auf die Mobiltelefone, wonach ein Biber in Schaffhausen einen Knaben gebissen habe. Diese Sommerloch-Story toppte SRF Anfang Juli mit einem Beitrag über den Garten von SVP-Chefstratege Christoph Blocher, dessen Ehefrau Silvia Blocher erzählte, wie wichtig ihr «einheimische Sträucher, einheimische Pflanzen und einheimische Bäume» seien.
Im Juli fielen auch andere Medientitel tief ins Sommerloch: Die Schweizer Ausgabe der «ZEIT» berichtete auf drei ganzen Seiten, weshalb der Gruyère dem Emmentaler den Rang ablaufe. Die «NZZ am Sonntag» schaffte es, auf fast sechs Seiten Strandbilder abzudrucken zum Thema: «Der Strand als beliebteste Destination für Ferien».
Einen Höhepunkt von fulminanten Sommerloch-Geschichten lieferte die «Weltwoche» mit einer Titelstory von Christoph Mörgeli, der sich mit rassistischen Stereotypen befasst und dafür extra eine ganze Reihe von Fakten erfunden hatte.
Dabei wäre es gar nicht nötig gewesen, in diesen Untiefen zu waten, denn der Sommer hierzulande ist voller interessanter und relevanter Nachrichten gewesen: Zum Beispiel ist bekannt geworden, dass der Schweizer Pharmakonzern Novartis angeklagt wird, weil er Medikamente an Obdachlosen in Polen getestet hat – zum Teil ohne deren Wissen.
Oder: Die Abstimmung über die Altersvorsorge 2020 steht an, und noch immer wissen viele Leute nicht genau, worum es geht. Oder: Forscher der ETH Zürich haben erstmals ein Herz aus Silikon entwickelt, das aus dem 3D-Drucker kommt. An Stoff für gute Geschichten mangelt es freilich nicht.
Kurt Tucholsky sagte einmal: «Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.» Es gibt also gar kein Sommerloch. Das Sommerloch dient uns Journalisten nur als Vorwand, um an heissen Tagen, an denen das Denken noch schwerer fällt, aus der Verantwortung hinaus und in die Badehose hinein zu schlüpfen.
Nina Fargahi
Chefredaktorin EDITO (de)
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