"Innovation"? Vorsicht Journalisten! Eine Antwort zum Schwerpunkt des letzten EDITO+Klartext-Heftes von Marcel Hänggi.
Man kann es sich ja fast nicht mehr vorstellen, aber es gab eine Zeit, da existierte das Wort «Innovation» im Deutschen nicht. Es ist nicht lange her: gut fünfzig Jahre. Seither nimmt seine Verwendung – nach Zählung in den Google-Books-Beständen – stetig zu.
Beim Anblick des letzten «Edito+Klartext» (1/15) dachte ich zuerst: ein ganzes Heft über «Innovation» – muss das sein? Das Heft erwies sich dann durchaus als interessant. Doch mein Unbehagen bei jedem Auftauchen des Titelbegriffs blieb. Denn «Innovation» ist ein Modewort, ein Lieblingsbegriff von Marketing und Management (vor solchen Begriffen sollten wir Journalisten und besonders hüten!) und ein Ideologievehikel.
Die Karriere des Worts begann 1956 mit einem Aufsatz des Ökonomen Robert Solow, der als Grundstein der neoklassischen Wachstumstheorie gilt (in Wahrheit ist es nicht mehr als eine schwach fundierte These): Wirtschaftswachstum beruht demzufolge auf «technischem Wandel». Die OECD nahm die These auf, popularisierte sie – und verwendete statt technical change das Wort «Innovation».
Seither ist es zum Fetisch geworden. Ich mag das Wort nicht. Aber ich bin so wenig gegen Innovationen, wie ich für oder gegen das Wetter bin. Selbstverständlich muss sich auch der Journalismus ständig verändern (fast hätte ich geschrieben: «anpassen»; das aber lieber nicht!). Aber das ist, mit Verlaub, trivial.
«Innovation» erhebt als ideologischer Begriff etwas, das nötig und selbstverständlich ist – Wandel –, zum Selbstzweck: Gut ist, was neu ist. Aber es ist nicht alles Neue gut. Wenn Journalisten im Zuge der «Konvergenz» immer mehr Formen bedienen sollen, ohne dafür zusätzlichen Ressourcen zu erhalten, so ist auch das «innovativ». Und ganz viele Innovationen gibt es im Bereich des Native Advertising. Und das ist schlecht.
Wobei: Auch «Native Advertising» ist nur ein neuer Begriff für etwas Altes. «Innovation» ist eben auch eine ahistorische Denkkategorie, die Altes neu erscheinen lässt. Auch der ach so innovative Datenjournalismus ist mitnichten neu, wenn er heute auch über viele neue Tools verfügt. Die Fallstricke der Statistik sind mit den neuen Tools aber die alten geblieben – und wir Journalisten verheddern uns zu häufig darin.
Als die NZZ Ende Dezember einen interaktiven Jahresrückblick ins Netz stellte, war die Begeisterung unter twitternden Journalisten groß. Der Rückblick war in der Tat sehr hübsch und gewiss auch «innovativ», und ich habe auch gar nichts gegen ihn. Aber inhaltlich brachte er nichts, und es irritiert mich, wenn man so etwas bejubelt – einfach weil es neu ist.
Den treffendsten Satz im letzten «Edito+Klartext» sagt für mich MAZ-Studienleiterin Alexandra Stark: «Es wird uns nichts retten, außer wenn wir unseren Job gut machen». Ein guter Journalist, eine gute Journalistin muss auch heute in erster Linie: hartnäckig recherchieren, originell denken und gut schreiben.
Marcel Hänggi ist freier Wissenschaftsjournalist, Buchautor und Geschäftsführer des Vereins investigativ.ch
Ihr Kommentar