Der Magnum-Fotograf Jerome Sessini, der über den Konflikt in der Ukraine arbeitet, war offenbar einer der ersten Fotojournalisten am Ort des Flugzeugabsturzes von vergangenem Donnerstag (17. Juli 14). In einer solchen Situation stellt sich die Frage, welche Aktualität mit Bildern vermittelt werden, was dokumentiert werden soll. Auf der offiziellen Magnum-Site stellt Sessini eine Reihe von Bildern aus. Darunter sind schreckliche Bilder mit verstümmelten Menschen zu sehen. Der Schweizer Fotograf Reto Camenisch, Studienleiter für Pressefotografie am MAZ, kritisiert diese Bilderwahl von Sesssini scharf: das sei vulgäre, menschenverachtende und pornografisch distanzlose Fotografie. Camenisch ist schockiert, weil für ihn Magnum über Jahrzehnte für einen besonderen Umgang mit Moral und Ethik im Bildjournalismus stand. Magnum trete mit der Einwilligung, diese Arbeit über ihre Seite zu vertreiben, die ursprünglich hehre Absicht seiner Gründer mit Füssen. Denn unter dem Deckmantel eines sozialkritischen Bildjournalismus dienten diese Bilder der Oekonomie und der eigenen Profilierungssucht.
Tatsächlich stellt sich die Frage, in welchen Situationen das Schockierende einer Realität mit Bildern dargestellt werden soll: Vermitteln möglichst schreckliche und schockierende Bilder die grösste Authentizität, dokumentieren sie die Realität am direktesten, haben sie die stärkste Aussagekraft? Grundsätzlich meine ich Nein – das wäre ein völlig falscher und unjournalistischer Massstab. Das schliess nicht aus, dass in einzelnen Situationen mit schwierigen, auch schockierenden Bildern aufgeklärt und aufgerüttelt werden soll. Bilder von verstümmelten Leichen tragen aber zur Aufklärung des Flugzeugabschusses in der Ukraine nichts bei.
Reto Camenisch lanciert mit seiner Reaktion auf diese Bilder von Jerome Sessini eine wichtige Debatte zum Fotojournalismus.
Wer die Bilder selbst beurteilen will – hier der Link: http://www.magnumphotos.com/C.aspx?VP3=SearchResult&VBID=2K1HZOQPG1THUW
Philipp Cueni
Bild: Igor Kovalenko, EPA/KEYSTONE
4 Kommentare
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Legendäre Geschichten und Bilder aus der Fotografiegeschichte belegen das. Der südvietnamesische Polizeioffizier, der in den Strassen Saigons einen Rebellen erschiesst zu Beispiel. Da wird kein durchlöcherter Schädel, da wird keine Leiche, da wird kein Blut gezeigt. Die ganz grosse und schreckliche Geschichte ist nur angedeutet und doch zeigt sie nachhaltig das Grauen.– Es gibt doch diese berühmte Geschichte von Eduardo Galeano. Sie erzählt, wenn ich mich recht erinnere. wie Mafia-Gangster in einem Friseursalon einen Menschen umbringen. Ein Kunde, der kurz zuvor seine erste Fotokamera erstand und nur gerade wusste, wo der Auslöser ist, fotografiert im Moment des Mordes das Gesicht des Coiffeurs. Er fotografiert weder die Leiche auf dem Stuhl noch das Loch in ihrem Kopf. Im Gesicht der Friseurs spiegelt sich das ganze Entsetzen und das ganze Grauen. Das ist Fotografie.
Fernsehstationen zeigten nach dem Absturz zum Beispiel Bilder ein Buch über Bali, das aus den Trümmern ragte, eine Handtasche, ein paar rote Kinderschuhe. Das ist stärker und nachhaltiger als Leichen zu zeigen.
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Mit Symbolhaftigkeit kommt man da leider nicht so weit. Das macht beispielsweise Christoph Bangerts Buch "War Porn" so wertvoll.
Naturkatastrophen sind wieder eine andere Geschichte.
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22.07.2014