Aktuell – 21.07.2014

Vulgäre Fotografie zum Absturz der Malaysian-Airlines bei Magnum

Der Magnum-Fotograf Jerome Sessini, der über den Konflikt in der Ukraine arbeitet, war offenbar einer der ersten Fotojournalisten am Ort des Flugzeugabsturzes von vergangenem Donnerstag (17. Juli 14). In einer solchen Situation stellt sich die Frage, welche Aktualität mit Bildern vermittelt werden, was dokumentiert werden soll. Auf der offiziellen Magnum-Site stellt Sessini eine Reihe von Bildern aus. Darunter sind schreckliche Bilder mit verstümmelten Menschen zu sehen. Der Schweizer Fotograf Reto Camenisch, Studienleiter für Pressefotografie am MAZ, kritisiert diese Bilderwahl von Sesssini scharf: das sei vulgäre, menschenverachtende und pornografisch distanzlose Fotografie. Camenisch ist schockiert, weil für ihn Magnum über Jahrzehnte für einen besonderen Umgang mit Moral und Ethik im Bildjournalismus stand. Magnum trete mit der Einwilligung, diese Arbeit über ihre Seite zu vertreiben, die ursprünglich hehre Absicht seiner Gründer mit Füssen. Denn unter dem Deckmantel eines sozialkritischen Bildjournalismus dienten diese Bilder der Oekonomie und der eigenen Profilierungssucht.

Tatsächlich stellt sich die Frage, in welchen Situationen das Schockierende einer Realität mit Bildern dargestellt werden soll: Vermitteln möglichst schreckliche und schockierende Bilder die grösste Authentizität, dokumentieren sie die Realität am direktesten, haben sie die stärkste Aussagekraft? Grundsätzlich meine ich Nein – das wäre ein völlig falscher und unjournalistischer Massstab. Das schliess nicht aus, dass in einzelnen Situationen mit schwierigen, auch schockierenden Bildern aufgeklärt und aufgerüttelt werden soll. Bilder von verstümmelten Leichen tragen aber zur Aufklärung des Flugzeugabschusses in der Ukraine nichts bei.

Reto Camenisch lanciert mit seiner Reaktion auf diese Bilder von Jerome Sessini eine wichtige Debatte zum Fotojournalismus.

Wer die Bilder selbst beurteilen will – hier der Link: http://www.magnumphotos.com/C.aspx?VP3=SearchResult&VBID=2K1HZOQPG1THUW

Philipp Cueni

Bild: Igor Kovalenko, EPA/KEYSTONE

4 Kommentare

#1

Von Peter Jaeggi
22.07.2014
Was Magnum hier betreibt, grenzt nach meinem Empfinden an billigen Boulevardjournalismus. Gute, anspruchsvolle und vor allem auch nachhaltig wirksame Fotografie hat für mich mehr mit Umsetzung zu tun als damit, das Grauen derart plump und offensichtlich zu zeigen, so dass die Bilder letztlich nur schockieren und darüber hinaus wirkungslos bleiben.

Legendäre Geschichten und Bilder aus der Fotografiegeschichte belegen das. Der südvietnamesische Polizeioffizier, der in den Strassen Saigons einen Rebellen erschiesst zu Beispiel. Da wird kein durchlöcherter Schädel, da wird keine Leiche, da wird kein Blut gezeigt. Die ganz grosse und schreckliche Geschichte ist nur angedeutet und doch zeigt sie nachhaltig das Grauen.– Es gibt doch diese berühmte Geschichte von Eduardo Galeano. Sie erzählt, wenn ich mich recht erinnere. wie Mafia-Gangster in einem Friseursalon einen Menschen umbringen. Ein Kunde, der kurz zuvor seine erste Fotokamera erstand und nur gerade wusste, wo der Auslöser ist, fotografiert im Moment des Mordes das Gesicht des Coiffeurs. Er fotografiert weder die Leiche auf dem Stuhl noch das Loch in ihrem Kopf. Im Gesicht der Friseurs spiegelt sich das ganze Entsetzen und das ganze Grauen. Das ist Fotografie.

Fernsehstationen zeigten nach dem Absturz zum Beispiel Bilder ein Buch über Bali, das aus den Trümmern ragte, eine Handtasche, ein paar rote Kinderschuhe. Das ist stärker und nachhaltiger als Leichen zu zeigen.

#2

Von Frank Leimbach
22.07.2014
ich finde diese bilder wichtig und richtig. sie zeigen eine realität, die dem betrachter im normalfall verborgen bleibt. die fotos sind auch in keinem fall reisserisch gestaltet. sie bilden ab, was da ist. (soweit ein foto dazu in der lage ist). die geschichte und die bewertung und gewichtung dieser fotos findet doch sowieso in den köpfen der betrachter statt. das lässt sich nicht regulieren und darin liegt die eigentlich problematik. nicht diese bilder sind pervers, sondern die situation, die zu solchen bildern führt ist pervers. und das zeigen die fotos ganz klar. in einer zeit, in der versucht wird "saubere" kriege zu zeigen mit ganzen stäben von zensur offizieren finde ich es absolut legitim die chance auf die abbildung der "wahrheit" zu nutzen. auch wenn es kaum zu ertragen ist.

#3

Von Daniel Meier
22.07.2014
Ich schliesse mich Frank Leimbach an. Warum sollten Newsfotografen Ereignisse nur "indirekt" abbilden dürfen? Immerhin wahrt Sessini eine gewisse Distanz. Die Grenze wird überschritten, sobald Opfer eindeutig erkennbar werden. Die Bilder von Sessini sind hier grenzwärtig.

#4

Von Roland Schmid
22.07.2014
Schon im Amerikanischen Bürgerkrieg wurden Leichen fotografiert, Robert Capa und andere haben später auch Leichen gezeigt, allerdings in Schwarzweiss, was das Blut etwas unsichtbarer macht. Aus dem Vietnamkrieg gibt es Unmengen von Bildern mit Leichen, diesmal auch in Farbe, von hervorragenden Fotografen wie Borrows, Griffiths, McCullin und vielen anderen. Darunter viele Bildikonen. Peter, selbst in unserem Vietnambuch ("Als mein Kind geboren wurde, war ich sehr traurig", Lenos-Verlag Basel) zeigen wir Leichen in Einmachgläsern. Klar ist das nicht schön anzuschauen. Aber es ist schlicht und einfach die Realität. Die aktive Generation aus dem 2. Weltkrieg ist jetzt langsam weggestorben, es gibt nur noch wenige, die das Grauen erlebt haben, für viele Politiker scheint Krieg wieder eine Option zu sein. Diese sind vulgär, nicht die Fotografen. Diesen muss man die Konsequenzen ihres Tuns unter vor Augen führen.
Mit Symbolhaftigkeit kommt man da leider nicht so weit. Das macht beispielsweise Christoph Bangerts Buch "War Porn" so wertvoll.
Naturkatastrophen sind wieder eine andere Geschichte.

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