Online-Informationen werden immer mehr via Smartphones und Tablets gelesen –und die Medien müssen ihr Angebot an diesen rasant zunehmenden Trend anpassen. Das hat Konsequenzen, denn die Mobilgeräte und ihre Nutzung beeinflussen auch die Inhalte.
Von Bettina Büsser
Wer mit digitalen Inhalten möglichst viele Nutzerinnen und Nutzer erreichen will, muss 2016 mobil denken. Denn: "Die mobile Informationsnutzung über Tablets und Smartphones (…) für den Newskonsum" nimmt zu, konstatiert das fög-Jahrbuch für die Schweiz; auch internationale Studien zeigten, dass Tablets und Smartphones die gedruckte Tageszeitung zunehmend als Hauptinformationsquelle für News ablösten.
Die nationale "Media Use Index"- Studie beziffert den Anteil der Schweizer Internetnutzer, die auch mobil surfen, mit 85 Prozent. Im Segment der 14-29-Jährigen liegt dieser Anteil bei 95 Prozent.
Nachwuchsproblem
"Der Informationsjournalismus hat ein Nachwuchsproblem", stellt das fög-Jahrbuch ausserdem fest, und: Die Zahl der jungen Erwachsenen, die sich nicht mehr über die klassischen Medien wie Abonnementszeitungen, Fernsehen und Radio informierten, sei deutlich angestiegen.
Die Nutzung von Online-Medien findet also mehr und mehr via Mobilgeräte – in erster Linie Smartphones – statt. Wollen Medien in Zukunft ein breites Publikum und möglichst auch die Informationsjournalismus-scheue Jugend erreichen, müssen sie ihre Angebote entsprechend gestalten. Wo sie fehlen, müssen sie 2016 auf der Agenda stehen. Und wo es sie bereits gibt, müssen sie ständig an die Bedürfnisse der User angepasst werden.
Doch wie muss das journalistische Angebot aussehen, damit es auf diesem Kanal gut funktioniert? Wie geht Smartphone- Journalismus? EDITO hat diese Fragen drei Fachpersonen gestellt, Alexandra Stark, Hansi Voigt und Konrad Weber.
Weber, Multimedia-Redaktor bei SRF, spricht von einem "rasanten Wachstum" der mobilen Nutzung seit einigen Monaten; sie sei mittlerweile auf die Hälfte der Online-Nutzung gestiegen. Die Medienhäuser, findet er, müssten damit anfangen, in erster Linie für den Mobile-Kanal zu denken, dann erst für die Desktop-Variante und die Zeitung.
Von der Zeitung zum Handy
Hansi Voigt, geschäftsführender Chefredaktor von watson.ch – auf seiner Newsplattform beträgt der Anteil der mobilen Nutzung bereits 60 Prozent – illustriert den Wandlungsprozess mit einem Bild: "Vor zehn Jahren standen die Pendler mit der Tageszeitung in den Händen am Bahnhof, vor fünf Jahren mit einer Pendlerzeitung, nun mit dem Handy. Um die massive Veränderung zu realisieren, muss man sich nur überlegen, wie sich der Abstand zwischen den beiden Händen dieser Leute verändert hat."
Die Beschaffenheit des Geräts spielt eine wichtige Rolle: "Die Nutzung der Angebote wird auch dadurch beschränkt, dass viele Leute kein entsprechendes Datenvolumen haben, wenn sie unterwegs sind, sondern nur zuhause oder im Büro mit WLAN", so Konrad Weber.
Ausserdem hätten viele Angebote für Mobilgeräte noch nicht das entsprechende Design für das kleine Display. "Der Bildschirm ist extrem klein und unübersichtlich. Man hat nie die Übersicht wie auf einer Zeitungsdoppelseite, wo man auf den ersten Blick sieht, was man erhält. Man muss die Leute auf dem Handy also viel mehr leiten", sagt Alexandra Stark, MAZ-Dozentin mit den Schwerpunkten Change-Prozesse, crossmediales Arbeiten sowie Neue Medien und ansonsten freischaffend tätig.
Die Grösse des Bildschirms hat auch Einfluss auf Bild und Bewegtbild. Stark ortet hier einen "Zielkonflikt": Eigentlich wolle man "schöne Dinge" zeigen, doch wenn Bilder und Videos zu kleinteilig seien, erkenne man sie auf dem kleinen Bildschirm nicht mehr.
Ausserdem muss, wer für Smartphones fotografiert, anders denken als für Print: "Die klassische Zeitungsfotografie war eher im Querformat, für das Handy müssen Bilder eher hochformatig sein", sagt Hansi Voigt.
Führt der kleinere Bildschirm auch dazu, dass Titel und Lead für einen Text mehr zugespitzt werden müssen? "Das kommt auf das Medium an. Wichtig ist, dass die User wissen, was auf sie zukommt und dass man sie nicht verarscht", sagt Alexandra Stark. Gut sei auch eine Angabe zur Lesedauer.
Nach Konrad Webers Einschätzung braucht es "durchaus eine gewisse Zuspitzung oder vielleicht auch Emotionalisierung, die eine Handlung auslöst". Die User für dumm verkaufen und in Titel oder Teaser etwas Falsches anpreisen dürfe man aber nicht.
Nichts für mittlere Längen
Das Stichwort "gewisse Zuspitzung" gilt aber – immerhin – nicht grundsätzlich für die eigentlichen Inhalte. Laut Weber zeigt die Nutzungsanalyse zwei Typen von Mediennutzern auf Mobilgeräten: "Solche, die sich mit sehr kurzen Texten auf einen Blick aufdatieren wollen, und solche, die lange Texte, sogar Bücher lesen."
Mittlere Längen, so Alexandra Stark, funktionierten nicht so gut: "Texte sollten entweder richtig kurz oder richtig lang sein." Mittlerweile würden auch grosse Stücke gelesen und lange Filme geschaut – "wenn sie gut sind".
News, so Stark weiter, müssen kurz und strukturiert sein. Lange Texte "sehen auf dem Handy aus wie eine lange Zeitungsspalte und werden auch so gelesen", deshalb müssten sie nicht unbedingt speziell aufgemacht werden.
"Nicht unbedingt gut" sind laut Stark Unterkapitel, die mit Links geöffnet werden: "User springen ab oder verlieren die Orientierung." An die kleinen Bildschirme angepasste Grafiken und Statistiken seien geeignet, um Komplexität zu reduzieren – "weil die Aufmerksamkeitsspanne kurz ist".
Denn "Ungeduld" ist offenbar eine verbreitete Eigenschaft bei Mobile-Nutzenden: "Wenn die Leute ein Handy in der Hand haben, sind sie viel ungeduldiger, als wenn sie entspannt vor einem Bildschirm sitzen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist im Allgemeinen viel kürzer", sagt Stark.
Allerdings komme es auf die Situation an: "Wer abends auf dem Sofa sein Handy hervornimmt, hat mehr Geduld als derjenige, der tagsüber unterwegs ist." Die kurze Aufmerksamkeitsspanne erwähnt auch Weber: "Wenn man auf etwas klickt und es kommt innerhalb von zwei, drei Sekunden nichts, ist man weg. Bei Mobilgeräten ist es noch brutaler als beim Desktop, wo es auch schon brutal war."
Mobile-Nutzende verwenden ihr Gerät natürlich nicht nur zur Informationsgewinnung. "Das Handy ist etwas, auf dem man spielt und Filmchen schaut. Das muss man berücksichtigen", sagt Stark: Morgens wollten die Leute tendenziell informiert, abends eher unterhalten werden.
Etwas anders formuliert es Weber: Es brauche die journalistische Auswahl nach Relevanzkriterien auf Mobileangeboten genauso wie anderswo, man müsse sich aber vermehrt überlegen: "Wie kann man die User abholen, ihnen Inhalte bieten, aber gleichzeitig ein Nutzungserlebnis schaffen, das wirklich ihr Ding ist."
Dieses "Ding" kann auch "Picdump" oder "Listicle" heissen. Hansi Voigt, dessen watson das fög-Jahrbuch eine "Hybridstrategie" – "qualitativ hochwertige Beiträge werden ebenso bewirtschaftet wie aufmerksamkeitsheischende Beiträge von minderer Qualität" – zuschreibt, sieht das eher locker: Die journalistische Aufgabe bei der Markenpositionierung sei, "dass du letztendlich die Aufmerksamkeit mit anständigen Inhalten erreichst".
Doch es gebe auch Unterhaltung. Schliesslich lese man beim Radio auch nicht eine Stunde lang Nachrichten vor, sondern sende Nachrichten, dann Musik, dann vielleicht eine Reportage: "Man sollte die Newsportale eher mit Radio als mit Zeitungen vergleichen.Wir sind schliesslich multimedial."
Im 2016 sollte der Journalismus
vor allem mobil denken.
Und nicht nur multimedial, sondern auch sehr interaktiv: "Grundsätzlich ist das Smartphone für den Journalismus disruptiver als Online. Denn Mobile ist die absolute Vernetzung zwischen Leser und Sender, Senden-Empfangen ohne Umweg", so Voigt. Das Handy schaffe die Möglichkeit von gehobenen Interaktionen mit den Usern, und der Journalist sehe sofort, "wie sein Artikel ankommt und was die User zurückschicken".
Journalisten als Marke
Mobile-User, beschreibt Voigt weiter, bewegten sich "in ihrer ganz persönlichen Bubble". In dieser "Privatsphäre" könne man sie via Push- Alert erreichen oder mit einem massgeschneiderten Angebot: "Bei watson kann man jedem Autor folgen und wird benachrichtigt, wenn er einen neuen Artikel geschrieben hat."
Das bedeutet laut Voigt auch, dass Journalisten sich zu einer Marke machen müssen, der man folgen will: Indem sie ein Profil entwickeln, ihre Texte auch in den Social Media breit verteilen und sich einschalten, wenn ihre Artikel kommentiert werden.
Kommentare sind wichtig, ebenso wichtig die Community. Voigt illustriert das mit dem Beispiel des Polizeireporters, der früher den Polizeifunk abhörte und, wenn etwas geschah, losraste, um als Erster die Bilder zu haben: "Heute sind immer ‚Leserreporter’, also eigentlich Augenzeugen, als Erste zufällig vor Ort."
Polizeireporter brauche es nicht mehr, aber eine Newsplattform müsse eine Augenzeugen-Community aufbauen: "Das bedeutet aber nicht, dass die Redaktion die Hoheit über Bilder und Texte an die Community abgibt. Die Profis sind immer noch wir."
Aber "wir" – vor allem die Printjournalisten – müssen, wenn unsere Texte smartphontauglich sein sollen, mit anderen Profis zusammenarbeiten. Das findet Konrad Weber: "Journalisten müssen auch gemeinsam mit Designern und Entwicklern Angebote schaffen und hervorbringen. Beim Fernsehen musste man ja schon immer im Team arbeiten. Mobile ist multimedial, man muss also das Knowhow von den verschiedenen Feldern abholen und mitnehmen."
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