Wo sind Schweizer Medien innovativ? Ein Gespräch mit Alexandra Stark, MAZ-Studienleiterin. Sie ist spezialisiert auf digitales Arbeiten, multimediales Storytelling, Newsrooms und Change-Prozesse. Von Bettina Büsser (aus der aktuellen Ausgabe von EDITO+KLARTEXT)
Sie könnte, so scheint es, stundenlang erzählen: Was die Digitalisierung für den Journalismus bedeutet. Dass Journalistinnen und Journalisten die neuen Kulturtechniken lernen müssen. Dass sie nicht warten dürfen, bis ihre Chefs die Initiative ergreifen. Welche Möglichkeiten die neuen Medien und Social Media bieten. Manchmal wirkt Alexandra Stark dabei fast etwas ungeduldig, als frage sie sich, weshalb die Medienbranche so lange brauche, um die Situation zu begreifen. In ihrem Blog "Journalism Reloaded" finden sich Sätze wie: "Die Veränderungen sind gigantisch und unumkehrbar. Wir Journalistinnen und Journalisten sollten endlich damit beginnen, diese Umwälzungen nicht nur zu beklagen, sondern aktiv zu nutzen."
Stark (45), ist als MAZ-Studienleiterin für den Studiengang "Master of Arts in Journalism" zuständig, der aber gerade sistiert ist. Deshalb kümmert sie sich mit ihrem 40-Prozent-Pensum zurzeit um die Weiterentwicklung der Studiengänge in den Bereichen digitales Arbeiten und multimediales Storytelling. Daneben gibt sie als Selbstständige Kurse und begleitet Projekte, "vor allem zu Themen wie Multimedia, Newsroom und Change-Prozesse", wie sie sagt.
Zu diesen Themen kam sie durch ihre eigene Berufsgeschichte: Nach dem Studium Internationale Beziehungen an der HSG absolvierte Stark die Ringier-Journalistenschule, war dann Redaktorin bei "Cash". "2000 habe ich mich selbstständig gemacht und ging mit einem 10-Prozent-Fixum von ‚Cash’ nach Moskau", erzählt sie. Dort habe sie zuerst Hintergrundgeschichten geschrieben, "aber das funktionierte mit der Zeit wirtschaftlich nicht mehr so gut". Dann erhielt Stark eine Anfrage der SDA, ob sie für sie schreiben wolle, später folgte dann Swissinfo, es folgten Radio24 und weitere Medien; Stark fotografierte auch. "Am Schluss hatte ich ein multimediales Portfolio. Ich habe mir alles selber beigebracht, denn in Russland gab es niemanden, der mir hätte helfen können."
2007 kam sie aus Russland zurück. "Es herrschte die grosse Depression in den Medien. Alle sagten: Das Internet macht unseren Beruf kaputt", erinnert sie sich. "Das stimmt zwar, aber gleichzeitig haben wir auch die Chance, den Journalismus im Digitalen neu zu erfinden!"
Das hat Stark fasziniert. Durch einen früheren Kontakt kam sie zum Newsroom-Team von Ringier, "dort habe ich Weiterbildungen mitkonzipiert und durchgeführt". Da es noch nicht viele Beispiele gab, habe man vieles selber entwickeln müssen. Deshalb meldete sich Stark für den vom MAZ ausgeschriebenen Masterstudiengang "New Media Journalism" an: "Die Ausbildung war super, weil ich gelernt habe zu verstehen, was passiert."
Es passiert sehr viel momentan. Wo, Frau Stark, sind Schweizer Medien innovativ?
Ich sehe wenige Innovationen bei den Schweizer Medien. Und wenn, dann mehr auf der technischen Ebene. Watson hat viele innovative Ideen. Etwa, dass man anlässlich der Fussball- WM auf einen Knopf drücken konnte und dann keine Fussball- Nachrichten erhielt. Das geht in Richtung Personalisierung des Angebots – ein Riesenthema, das noch kaum bearbeitet wird. Oder auch das grossflächige Storytelling mit Bildern. Es hiess immer, auf den kleinen mobilen Geräten lese niemand. Jetzt weiss man, dass das nicht stimmt. Auf diesen Geräten funktionieren auch Bilder und Filme sehr gut. Es hiess immer, das könne man nicht einbetten. Watson kam mit einem neuen CMS – und zack war es auch anderswo möglich.
Und ausser watson?
Es gibt kleinere Beispiele. Etwa die "Tageswoche", die am Anfang ihres Bestehens in die Quartiere fuhr, um dort bei den Leuten Fragen abzuholen. Diese hat sie nachher stellvertretend den Wahlkandidaten gestellt. So eine Brückenfunktion, wie sie die "Tageswoche" damals übernommen hat, ist für mich innovativ. Dafür braucht es aber Planung. Es werden viele Ressourcen verschwendet, weil man alles auf dem letzten Drücker macht. Dabei sind je nach Medium bis zu 90 Prozent der Themen planbar. Planung ist für mich eine wünschenswerte Neuerung – auch wenn das für mich keine Innovation ist.
Was wäre denn aus Ihrer Sicht innovativ?
Für mich wäre "weniger" eine wichtige Innovation. Bei den Zeitungen haben wir selektioniert. Jetzt im Internet heisst es nur noch: schneller, noch mehr Updates und News. Ich kenne niemanden, der zu wenig Information hat – ganz im Gegenteil. Wir müssen weniger machen, dafür das Wenige besser, wir müssen mehr auf unser Publikum fokussieren und einordnen, erklären. Die News, die alle bringen, müssen wir effizient zur Verfügung stellen, um Ressourcen für eigene Geschichten, besondere Blickwinkel, Einschätzung und Hintergrund freizuschaufeln. Nur so kann sich ein Medium ein klares Profil verschaffen. Wer kein klares Profil hat, wird austauschbar und wird es im Digitalen sehr schwer haben. Ich stelle bei meinen Schulungen fest, dass das Profil den Mitarbeitenden oft zu wenig klar ist, gerade bei digitalen Kanälen existiert sogar häufig nicht einmal ein ausformuliertes publizistisches Konzept.
Beim Thema Datenjournalismus – oft als wichtige journalistische Innovation gehandelt – winkt Stark ab. Datenjournalismus habe es eigentlich schon immer gegeben; man habe mit Hilfe von Analysen aus Daten Geschichten herausgefiltert, die man sonst nicht finden würde. Heute sei es einfacher, weil entsprechende Tools zur Verfügung stünden. Datenjournalismus, so Stark, sei zwar spannend, "doch er birgt die Gefahr, dass die technischen Möglichkeiten dich dazu verleiten, etwas zu tun, was irrelevant ist". Attraktiv sei er aber auch deshalb, weil man jüngere Leute ansprechen könne, die visueller unterwegs seien.
Vom Datenjournalismus ausgehend, wird Stark allgemeiner: In jeder anderen Branche gebe es eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, in der überlegt und ausprobiert werde, bevor ein Produkt oder eine Dienstleistung auf den Markt gebracht werde, doch "in der Medienbranche wird am offenen Herzen operiert". Dabei sei der Erwartungsdruck gigantisch, was zu Hypes führe. "Aber so wie das iPad den Journalismus nicht gerettet hat, wird es auch der Datenjournalismus nicht tun. Und auch programmierende Journalisten, wie sie neuerdings gefordert werden, nicht. Es wird uns nichts retten, ausser wenn wir unseren Job gut machen – in allen Facetten."
Ist Innovation Sache der Journalistinnen und Journalisten oder sind da nicht die Verlagsspitzen zuständig?
Die Leute an der Spitze der Medienunternehmen und Redaktionen nutzen neue Medien, Social Media oft nicht. Wie können sie dann aktiv die Zukunft gestalten? Journalistinnen und Journalisten müssen deshalb den Prozess mitinitiieren oder initiieren und vorantreiben. Wenn sie auf die Initiative ihrer Chefs warten, könnte es zu spät werden. Ich verstehe, dass sie im täglichen – wie ich sage – "Produktionsterror" nicht auch noch Lust darauf haben, sich auf die Äste hinauszulassen und etwas auszuprobieren. Aber wenn sie es nicht tun, wer tut es dann?
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