Wie kommen Redaktionen zu mehr Diversität? Und warum fragen Journalisten immer nach persönlichen Erlebnissen statt nach strukturellen Gründen für Rassismus? Interview von Nina Fargahi mit Ferda Ataman*
Black Lives Matter und die ganze Debatte rund um Rassismus scheint für viele Redaktionen ein «Hype» gewesen zu sein, und viele Medien sind bereits zum Courant normal zurückgekehrt. Warum?
Wir müssen noch abwarten, wie viel von der Debatte übrigbleiben wird, denn es wurde noch nie so lange und ausführlich über Rassismus diskutiert. Aber klar, wie nach jeder Debatte, die plötzlich losgetreten wird und dann wieder abebbt, ist auch diese Rassismusdebatte längst von gestern.
Wieso ist diese Debatte längst von gestern?
Medien funktionieren nun mal so, dass etwas aufgrund eines aktuellen Ereignisses Relevanz hat. Wenn dieser «aktuelle Aufhänger» fehlt, ist das Thema für die meisten Sendeplätze nicht relevant genug. Wir haben – wegen eines spektakulären Vorfalls in den USA – in vielen Ländern wochenlang über Rassismus diskutiert. Aus medialer Logik gilt: Die Debatte ist jetzt durch, das Thema ist ausdiskutiert, fast alle Medien haben mehrmals darüber berichtet. Also kommen nur noch vereinzelte Berichte. Obwohl Rassismus weiterhin für viele Menschen zum Alltag gehört.
«Wie viele Telefonnummern von Rassismus-Expertinnen standen in ihren Kontaktverzeichnissen?»
Nach dem Mord an George Floyd sind viele Verantwortliche in den Medienhäusern ins Schleudern gekommen, weil deren blinde Flecken in dieser Thematik plötzlich offenbar wurden. Was braucht es, um das Bewusstsein in diesem Bereich zu schärfen?
Wir brauchen mehr Selbstreflexion in den Redaktionen. Journalisten sollten einen Blick auf ihre eigene Arbeit und den Arbeitsplatz werfen: Wie viele Schwarze Kolleginnen haben sie um sich? Wie viele aus Einwandererfamilien? Wie viele Telefonnummern von Rassismus-Expertinnen standen in ihren Kontaktverzeichnissen? Fiel es ihnen leicht, Ansprechpartner über Black Lives Matter zu finden, die nicht schon in allen anderen Medien gesprochen haben? Haben sie politische Fragen gestellt oder sind sie den einfachen Weg gegangen und haben nur nach persönlichen Erlebnissen gefragt?
Warum ist «Betroffenheits-Journalismus» ein bequemer Weg?
Weil man sich dafür kaum vorbereiten muss. Aber bei Rassismus geht es nicht nur um individuelle Einzelerlebnisse, sondern vor allem um kollektive Nachteile und fehlende Zugänge, die durch persönliche Geschichten oft nicht greifbar werden. Man braucht auch Studien und Expertinnen, die die strukturelle Dimension von Rassismus aufzeigen. Im Journalismus geht es zum Beispiel auch darum, wessen Perspektiven gehört und gesehen werden – nicht nur, wenn über Rassismus berichtet wird. Medien haben da noch viel nachzuholen.
«Nett sein schützt nicht vor Rassismus.»
Wieso dauert dieses Nachholen so lange? Diversity ist doch seit langem ein Thema..
Das hat verschiedene Gründe. Gestandene Redaktionen sind Institutionen, die sich nur langsam verändern. Und die meisten Journalisten finden, der Status Quo habe seine guten Gründe. In einer Umfrage der Neuen deutschen Medienmacher haben wir 122 Chefredaktoren gefragt, wie sie zum Thema Vielfalt stehen. Die allermeisten finden das gut und wichtig, aber fast niemand will etwas dafür tun. Vermutlich glauben sie immer noch: Was gut ist, setzt sich durch. Das stimmt aber nicht, wenn man strukturelle Diskriminierungen berücksichtigt. Manche haben von vorneherein nicht die gleichen Chancen. Manche sind sehr gut, kennen aber niemanden, der ihnen bei der Suche nach einem Praktikumsplatz hilft. Oder sie werden nicht genommen, weil manche Personaler bei migrantischen Namen denken, sie könnten die Landessprache nicht. Das passiert auch bei Secondos. Die BLM-Debatte hat einen Anlass geboten, über strukturellen Rassismus zu sprechen. Und so, wie wir bei der Polizei nicht nur über böse Rassisten, sondern auch über gutmeinende Menschen reden müssen, die trotzdem rassistische Stereotype verinnerlicht haben, so müssen wir das auch in den Medien. Nett sein schützt nicht vor Rassismus.
Medienschaffende, die sich vertieft mit Themen wie zum Beispiel Rassismus oder Polizeigewalt befassen, werden immer wieder in die «Aktivisten-Ecke» gestellt. Warum?
Die Erwartung an Journalisten ist professionelle Distanz und Neutralität. Das ist auch richtig, wenn es darum geht, über die Konkurrenz zwischen zwei Hasenzüchtervereinen oder über andere Streitigkeiten ausgewogen zu berichten. Aber bei Themen wie Rassismus, Antisemitismus und anderen antidemokratischen Einstellungen finden viele Fachjournalisten, dass nicht jede Meinung gleichwertig und neutral dargestellt werden kann. Ich teile diese Auffassung. Interessant ist, von wem der Aktivisten-Vorwurf kommt. Denn es ist schon auffällig, dass niemand Medienschaffende in die Aktivisten-Ecke stellt, wenn sie bedauern, dass das Wirtschaftswachstum abnimmt oder die Arbeitslosigkeit steigt. Da scheint Konsens zu herrschen. Ausgerechnet beim Umgang mit antidemokratischen Einstellungen wird dieser Konsens von manchen in Frage gestellt.
«Monokulturelle Redaktionen betreiben oft Aktivismus für den Status Quo, bewusst oder unbewusst.»
Was wäre eigentlich der erste Schritt, um mehr Diversität in die Redaktionen zu bekommen?
Schritt eins sollte sein, Diversität bei den Inhalten anzustreben. Wer sein Programm divers aufstellen will, muss beim Personal anfangen. Wer neue Themen und Ideen will, braucht neue Leute mit neuen Perspektiven. Es geht nämlich nicht nur um Fairness und einen moralischen, demokratischen Anspruch, es geht auch einfach darum, ein gutes mediales Produkt abzuliefern. Für alle.
Wenn Redaktionen nicht divers aufgestellt sind, was bedeutet das für die journalistische Objektivität?
Es gibt verschiedene «Objektivitäten». Zum Einen ist da die berufliche Objektivität, für die man einen Konflikt von zwei Seiten betrachten und darstellen soll, ohne Partei zu ergreifen. Und dann gibt es die persönliche Objektivität, die aber eigentlich niemand wirklich bieten kann. Wir haben alle eine Identität, eine Familiengeschichte, eigene Probleme, Vorlieben und Sichtweisen. Schon allein deswegen ist es nicht gut, wenn unterschiedliche Perspektiven in Redaktionen fehlen. Wenn nur Männer aus Akademikerfamilien unter sich sind, fehlen nun mal bestimmte Perspektiven auf die Gesellschaft. Solche monokulturellen Redaktionen betreiben oft Aktivismus für den Status Quo, bewusst oder unbewusst.
*Ferda Ataman arbeitet in Berlin als Journalistin und Publizistin. Sie ist Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen, der bundesweit grössten Vereinigung von Journalist*innen aus Einwandererfamilien. 2019 hat sie die Streitschrift «Hört auf zu fragen. Ich bin von hier» veröffentlicht.
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