Auch nachdem der Umzug von Bern nach Zürich vollzogen ist, gehen die Abgänge in den Audio-Abteilungen von SRF weiter. Die Unzufriedenheit unter den Mitarbeitenden findet HR-Chef Gerhard Bayard in einer solchen Situation normal.
Von Benjamin von Wyl
Als Marco Kauffmann Bossart beim Regionaljournal Zentralschweiz anfing, hiess das Radio noch DRS. Wenn er als freier Reporter unterwegs war, musste er ein Nagra-Tonbandgerät mitschleppen. Nach langen Jahren beim Tages-Anzeiger und bei der Neuen Zürcher Zeitung führte Kauffmanns Karriere ihn im Frühling 2020 als Auslandchef zurück zum Radio, das schon lange SRF heisst. Nun verlässt er das Radio bereits wieder.
Grosser Brain Drain. «Jeder Stellenwechsel ist ein persönlicher Entscheid», steigt Marco Kauffmann Bossart ins Gespräch mit EDITO. «In meinem Fall habe ich die Entscheidung wegen der journalistischen Form getroffen: Ich fühle mich im Textjournalismus wohler als im Radio.» Künftig wirkt Kauffmann Bossart bei der NZZ als Leiter Korrespondentennetz und freut sich dort auch aufs Schreiben längerer Texte.
SRF ist im Umbruch – so wie die ganze Branche seit 20 Jahren. Doch trotz der neuen Medienwelt sei einiges auch gleich geblieben, sagt Kauffmann Bossart: «Die Redaktionskultur ist gut. Das Bemühen um guten Journalismus hat Bestand. Noch immer haben unsere Korrespondentinnen und Korrespondenten im Ausland Zeit, sich sehr vertieft mit ihren Dossiers zu bestätigen.» Mit dem Auslandteam verlasse er eine tolle Redaktion, sagt er: «Bei uns gab es auch keinen bedeutenden Stellenabbau.» Zu anderen Abteilungen könne er sich nicht äussern.
Jeder Stellenwechsel ist ein persönlicher Entscheid. Das sagte kürzlich auch SRG-Verwaltungsratspräsident Jean-Michel Cina im Interview mit Tele D. Kauffmann Bossart geht mit einer tollen Perspektive. Andere verlassen SRF aus Frust. Als «einzigartigen Brain Drain» beurteilte die Gewerkschaft SSM den Umzug von grossen Teilen des Radiostudios Bern in den Newsroom nach Zürich.
Gemäss SSM seien mehr als die Hälfte der 70 betroffenen Medienschaffenden nicht mitgegangen. Beinahe einmal pro Woche trudelt eine Medienmitteilung ein, die einen weiteren Abgang verkündigt. Zuletzt Rolf Hieringer, der den Umzug des Radiostudios umgesetzt hat – und auch prominente Moderatorinnen und Moderatoren wie Lukie Wyniger: Bei Prime News beklagte sich der scheidende SRF3-Moderator über «taube Ohren» und «zu Tode diskutierte Visionen».
«Es gab plötzlich eine grosse Distanz zwischen Basis und Chefredaktion.»
Stimmung im Keller. Interne Unzufriedenheit bezeugt auch die Personalbefragung 2021, deren Ergebnisse EDITO vorliegen: Nur 29 Prozent der SRF-Angestellten würden ihren Arbeitgeber im privaten Umfeld weiterempfehlen und weniger als die Hälfte sind zufrieden mit ihrer Führungskraft. Gemäss Befragung halte man «SRF 2024» zwar mehrheitlich für sinnvoll. Doch die Identifikation mit SRF leide und Mitarbeitende hätten das Gefühl, ihre Meinungen würden nicht berücksichtigt.
Wegen der Ergebnisse will SRF nun Massnahmen ergreifen, «um die Mitarbeiterzufriedenheit zu stärken». HR-Chef Gerhard Bayard findet es angesichts des «Transformationsprozesses, verbunden mit Sparmassnahmen und Personalabbau (…), nachvollziehbar, dass einige Kolleginnen und Kollegen SRF als Arbeitgeber momentan nicht weiterempfehlen».
Vergangenes Jahr baute das Service-Public-Medienhaus der Deutschschweiz fast 90 Vollzeitstellen ab – knapp 30 SRF-Mitarbeitende erhielten eine Entlassung. 145 weitere Stellen will SRF, unter anderem mit Frühpensionierungen, bis Ende 2023 abbauen. Gemäss Bayard ist die Fluktuationsrate stabil bei 3,8 Prozent – aber «in der Chefredaktion Audio leicht über dem Durchschnitt». Man bedauere jeden Weggang.
Zu viel Unruhe. Als US-Korrespondentin von Radio SRF hat Priscilla Imboden wenig vom Innenleben des Unternehmens SRF mitbekommen. Doch als sie 2017 zurückkam und ins Bundeshaus wechselte, empfand sie den Vorher-Nachher-Effekt umso stärker: «Es gab plötzlich eine grosse Distanz zwischen Basis und Chefredaktion.» Der Druck, vor der No-Billag-Abstimmung niemanden wütend zu machen, sei da noch dazugekommen. Selbst nach der phänomenal gewonnenen Abstimmung habe sich die Distanz nicht aufgelöst. Mehr Sitzungen nagten an Imbodens Zeit für Recherchen.
Seit Herbst berichtet sie für die Republik. Noch immer ist sie SSM-Präsidentin und glaubt daran, dass der Service-Public-Journalismus von SRF eine wichtige Funktion erfüllt. Was braucht es denn, damit SRF wieder als Arbeitgeber und nicht nur als Idee überzeugt? «Mehr Ruhe – der Fokus muss zurück zu den Inhalten. Die Journalistinnen und Journalisten brauchen Zeit und Mittel, um ihre Arbeit zu machen.»
Diese Einschätzung deckt sich mit den Schilderungen von Audiojournalistinnen und -journalisten, die geblieben sind. Der Umzug erklärt nur einen Bruchteil des Grolls. Die lange verschlafene Digitalisierung geht nun aber ruckhaft voran: Online-Auftritte der Regionaljournale werden aufgebaut und wieder gestrichen. Neue Formate starten und verschwinden wieder. Während auf Youtube kumpelhaft moderiert werden darf, dürfen sich im linearen Radio Medienschaffende noch immer kaum duzen. Während es on air keine Kommentare als journalistische Form gibt, fordern Vorgesetzte fürs Netz meinungslastige «Newsanalysen».
Gegenüber EDITO beschreiben SRF-Mitarbeitende jeden Alters aber auch eine grosse Leidenschaft für ihren Arbeitgeber und Beruf. Sie fühlen sich verbunden, solange sie dort sind. «Jeder Stellenwechsel ist ein persönlicher Entscheid.»
Jede und jeder geht für sich allein. Und nicht alle mit Vorfreude auf die Zukunft nach SRF.
Ihr Kommentar