Service public – 18.12.2017

«Es wäre der Untergang einer bestimmten Idee von der Schweiz»

Der SRG-Direktor Gilles Marchand ist dabei, den Liquidationsprozess im Falle einer Annahme von «No Billag» vorzubereiten. Er sagt, welche Fragen ihn derzeit umtreiben.

Interview: Nina Fargahi, Alain Maillard

EDITO: Die Kampagne «No Billag» ist in vollem Gang und der SRG sind aufgrund ihrer politischen Neutralität die Hände gebunden. Können Sie uns etwas über die Strategie der SRG erzählen?

Gilles Marchand: Natürlich können wir die öffentlichen Mittel nicht für eine Kampagne einsetzen, aber andere werden für uns sprechen. Spätestens ab Januar werden sich ­einige weitere Institutionen und Organisationen gegen «No Billag» einsetzen, um die Konsequenzen in verschiedenen Bereichen darzulegen: Sport, Kultur, Film, Volksmusik, Schulen, Wissenschaft und so weiter. Alle diese Kreise sind von der Abstimmung betroffen und ich hoffe, dass sie nicht schweigen werden.

Es gibt viele Stimmen, wonach die Annahme der Initiative keine Katastrophe wäre. Wie erklären Sie sich diesen Relativismus?

Es gibt zwei Gruppen: Diejenigen, die die Radikalität der Initiative noch nicht verstanden haben. Und diejenigen, wie zum Beispiel einige private Akteure, die mit uns vermeintlich konkurrieren. Sie sind der Ansicht, dass eine schwächere SRG ihre Situation stärken würde. Das ist ein Fehler in der Analyse, denn ohne SRG verlieren alle.

Auch Bundesrat Ueli Maurer sagt, die Schweiz würde nicht untergehen bei einer Annahme.

Nein, die Alpen werden noch stehen. Es wäre aber der Untergang einer bestimmten Idee von der Schweiz, die in ihre unterschiedlichen Sprachen und Kulturen investiert. Würde es in der italienischsprachigen Schweiz ein Radio und Fernsehen geben ohne gebührenfinanzierte SRG? In der Romandie? In der rätoromanischen Schweiz? Es ist sehr wichtig, dass es Journalismus gibt in unserem Land, der sich keinem wirtschaftlichen oder politischen Druck beugen muss. Die SRG stellt dies heute sicher.

Kritiker monieren, dass keine Debatte über den Service public stattfindet.

Das ist eine «Urban Legend». In meinem Presseservice ­erhalte ich alles, was über die SRG geschrieben wird. Ich glaube, in kaum einem anderen Land in Europa wird so viel über den Service public geschrieben, diskutiert und debattiert – seine Rolle, seinen Umfang, seine Finanzierung, seine Beziehung zu privaten Akteuren und so weiter. Aber ich stimme den Kritikern zu, dass diese Debatten besser organisiert werden sollten. Das ist auch der Grund für das Projekt «Contribution to Society», das die SRG nach der Abstimmung lancieren wird. Es geht darum, den Dialog zu strukturieren, konstruktiv zu gestalten und zu präsentieren. Wir werden noch lange über den Service public sprechen, und das ist gut so.

Der Vorteil der gegenwärtigen Situation ist, dass sich die ganze SRG selbst hinterfragt. Es gibt einen Wunsch nach Veränderung, auch wenn wir am 4. März gewinnen. Das Unternehmen hat verstanden, dass es nicht statisch bleiben kann; mein Job wird es auch sein, nach der Abstimmung neue ­Lösungsvorschläge auf den Tisch zu bringen.

«Der einzige Plan B im Falle einer Annahme von <No Billag> ist ein geregelter Abbau.»

Können Sie sagen, wie diese Lösungsvorschläge aussehen werden?

Das werden wir zu gegebener Zeit tun. Vorderhand konzentrieren wir uns voll und ganz auf unseren Auftrag, gute und unabhängige Programme für alle Altersklassen in allen Sprachregionen der Schweiz zu machen.

Warum sind Sie nicht bereit, Forderungen nachzukommen wie zum Beispiel der Austritt aus Admeira?

Wer sagt, dass die SRG nicht bereit ist, Forderungen nachzukommen? Die Frage ist, wo und wie. Nehmen wir zum Beispiel die Service-public-Konferenz des Verbandes Schweizer Medien von Mitte November in Bern. Es herrschte ein de-struktives Klima und in einem solchen Kontext ist keine ernsthafte Diskussion möglich. Schliesslich ging es nicht darum, einen Weihnachtskalender zu präsentieren. Für pragmatische und professionelle Lösungen, ob im kommerziellen oder inhaltlichen Bereich, bin ich immer offen.

Sind also keine spektakulären Ankündigungen vonseiten der SRG im Vorfeld der Abstimmung zu erwarten?

Alles ist möglich. Wir sind fortlaufend mit den Verlegern zu diversen Themen im Gespräch. In der Westschweiz haben RTS und die Privaten zum Beispiel eine Charta der Zusammenarbeit unterzeichnet; diese Form der Zusammenarbeit wäre vielleicht auch in der deutschsprachigen Schweiz denkbar.

Sie haben noch nicht erwähnt, dass «No Billag» das Ende der SRG bedeuten würde.

Seien wir uns darüber klar: Falls die Initiative angenommen wird, würde dies das Ende der SRG bedeuten. Daran gibt es gar keine Zweifel.

Wäre es nicht denkbar, dass die SRG eine neue Konzession erhält, die ihr mehr kommerzielle Ressourcen – Werbung im Radio, im Internet – erlaubt?

Meine Antwort ist nicht politisch, sondern berufsbezogen. Es ist unmöglich, ohne öffentliche Mittel das SRG-Angebot in allen Sprachregionen am Markt zu finanzieren. Vielleicht gäbe es da und dort ein paar aufstrebende Initiativen oder thematische Kanäle, die irgendwie in einer Sprachregion überleben könnten. Zum Beispiel ein beliebter Musikkanal in St. Gallen oder Ähnliches. Aber die SRG gemäss heutiger Definition ist ein vollständiger Dienst für die gesamte Öffentlichkeit, die nicht fortbestehen könnte mit der Annahme von «No Billag».

Es könnte ein neuer Verein entstehen, der eine Konzession mit einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag hätte?

Wie stellen Sie sich ein öffentliches Dienstleistungsmandat ohne öffentliche Finanzierung vor? Jeder Private wird Ihnen sagen: Wenn ich kein öffentliches Geld habe, möchte ich niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig sein und nur dort investieren, wo es rentiert. Warum sind die 34 Radio- und Fernsehsender, die Gebührengelder erhalten, so sehr besorgt? Weil sie auf die Finanzierung angewiesen sind, die von der Lizenzgebühr kommt, und ihre Konzession beinhaltet ebenfalls Rechte und Pflichten im Bereich des Service public.

«Auch wenn wir gewinnen am 4. März: Das Unternehmen hat verstanden, dass es nicht statisch bleiben kann.»

Also arbeiten Sie nicht an einem Plan B?

Der einzige Plan B im Falle einer Annahme von «No Billag» ist ein geregelter Abbau. Das heisst, innerhalb von wenigen Monaten müssten wir die Kündigungen organisieren und die Einrichtungen auflösen. Damit können wir nicht bis zum ­5. März zuwarten; diesen Liquidationsprozess müssen wir mit dem Bund vorbesprechen.

Befürworter der Initiative sagen, Sie würden den Teufel an die Wand malen.

Die Vorbereitungen, um ein Unternehmen mit 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aufzulösen, sind sehr schwierig und belastend. Glauben Sie mir, das ist kein Spiel, sondern eine schwere Verantwortung. Eine SRG ohne öffentliche Finanzierung ist nicht möglich. Keine Unterstützung mehr für Musik und Film, keine Dokumentarfilme, keine Leistungen mehr für sinnesbehinderte Mitmenschen… Das Unternehmen müsste liquidiert werden.

Die Frage ist, wie und in welcher Reihenfolge. Wird es eine sofortige Insolvenz sein oder ein fortschreitender Abbau? Wie sieht es mit einem Sozialplan aus? Es gibt viele Fragen, die geklärt werden müssen. Die Schweizer Medienszene müsste sich von dieser Katastrophe erst wieder erholen und neu erfinden.

Sind Sie heute mehr beunruhigt als zu Ihrem Dienstbeginn?

Nein. Ich habe die Stelle im Wissen um die kommenden Stürme angenommen und kenne die Situation von innen. Was ich mit etwas mehr Schärfe neu entdecke, ist das Beziehungsklima gegenüber der SRG in der Deutschschweiz. In der Romandie ist die Beziehung zum Service public anderer Natur: Dort ist man enger mit der SRG als Institution verbunden, die man auch als Ausdruck des kollektiven Zusammenhalts versteht. Das hat historische, soziologische und kulturelle Gründe.

Inwiefern greifen in diesem Zusammenhang rationale Argumente über die Konsequenzen von «No Billag», wie Sie sie formulieren?

Die Überzeugungsarbeit muss auf verschiedene Arten gleichzeitig stattfinden. Einerseits muss man die Fakten klar nennen, wie zum Beispiel: Über 13 000 Vollzeitstellen hängen in der Schweiz direkt oder indirekt vom medialen Service ­public ab und wären im Falle einer Annahme der Initiative ­direkt oder indirekt bedroht. Andererseits gibt es auch emotionale Argumente: Viele Schweizerinnen und Schweizer sind schliesslich mit SRG-Sendungen aufgewachsen.

9 Kommentare

#1

Von Urs Heinzer
28.12.2017
Die SRG ist grössenwahnsinnig geworden. Da wird Geld für Sendungen verröstet, die viele Zuschauer gar nicht anschauen.
Es gibt für mich am 4. März nur ein klares JA!!!

#2

Von Lucien Suter
28.12.2017
Lieber Urs Heinzer

Da bin ich und alle Gebührenzahler sehr gespannt, welche Sendungen Sie als Verantwortlicher Radio+TV Direktor produzieren würden. In einer Breite und Qualität, in welcher Jede und Jeder etwas findet, wofür er/sie sich interessiert. Ich bin überzeugt, auch Sie würden nach Meinung von einigen Gebührenzahler/Zuschauerinnen und Zuhörerinnen Geld 'verrösten'.
Bedenken Sie, die SRG kann machen was sie will und wie sie es will, es ist immer jemand da, der das nicht sehen, oder hören und somit zahlen will.
Getreu dem Motto, ich zahle nur was ich brauche und diese Sendung sicher nicht ...
Es gibt auch noch weiter zu bedenken, es sind auch die Lokalen Radio- und TV Stationen, welche Verlierer sein werden. Entweder verschwinden sie dann endgültig, oder es wird vermehrt dann noch mehr Werbung und Sponsoring gesendet.
Grössenwahnsinnig sind die Medien in der Schweiz sicher nicht, dazu fehlt das Geld. Vergleichen Sie die Budgets der ausländischen Medienunternehmen, dann sind das hier in der Schweiz alles extrem kleine Fische, nur zum Beispiel die RTL-Gruppe verfügt über das 3-fache Budget der SRG, ARD-ZDF das 5.5-fache Budget, das nur für die deutsche Sprache.
Dann geht es so richtig los mit Geld: Bei Facebook das 17-fache Budget der SRG und enden tut es bei Apple welche ja auch im Medienbereich massgeblich mitmischen, sie liegen beim 135-fachen des SRG-Budgets.
Nun können Sie sich selber ausrechnen, wie interessant die Schweiz für diese Mediengiganten ist, da werden dann höchstens noch die restlichen Gelder der Werbefenster ins Ausland abgezogen. Das Geld welches für die Werbung bis heute schon ins Ausland abfliesst, ohne Gegenwert, oder Arbeitsplätz in der Schweiz zu schaffen ist jetzt schon höher als die SRG-Werbemilionen, die sie in der Schweiz einnimmt und auch hier wieder investiert.

Ich bin auch nicht mit allem Einvestanden, was die SRG und Privaten produzieren, aber das alles an die Wand fahren???
Ich hoffe Sie überlegen sich das gut, denn es kommen in Zukunft sicher noch weitere Unternehmen in die Schussbahn, dann werden sie zuerst schlecht gemacht und zum Schluss abgeschossen..

Ich werde ganz sicher immer Nein zu solchen und anderen, extremen Initiativen sagen, egal aus welcher politischen'Ecke' sie stammen!

#3

Von Ueli Burkart
28.12.2017
JA zu NObillag
Das ist der einzige Weg aus der festgefahrenen Situation.
Die Gebühren sind eindeutig zu hoch. Die SRG/SSR macht eindeutig zuviel. Höchstens zwei Sender pro Sprachregion sind genug. Alles was Private abdecken, gehört nicht zur SRG (SwissPop, SwissClassic, SwissJazz, Musigwelle, SRF3, SRF2, etc.). Der Laden hat schon lange eine quälende Völle und muss abspecken. Für was braucht es noch die Swissinfo? Jeder Schweizer im Ausland kann via Internet alle Sender hören. Warum braucht es da z.B. Russische, Chinesische oder Arabische Gefässe?
Darum am 4. März 2018:
???????? JA zu NObillag.
Der Schweiz und den Zahlern zuliebe

#4

Von Maggy Ritz
29.12.2017
"Da wird Geld für Sendungen verröstet, die viele Zuschauer gar nicht anschauen." Dann schaffen wir auch die SBB ab, wie oft fahren die halb leer, und die Strassen, wie viele sind schwach benutzt, und die Fluglinien, ach... Aber die Krankenkassen, die müssen weg! Ich zahle und zahle und bin kaum krank. #denkmal

#5

Von Luciano Gloor, Tbilisi
30.12.2017
Ich bin ein im Ausland lebender Schweizer. Ich bitte Herrn Burkart um die Anleitung, wie ich SRF Sender im Ausland via Internet sehen kann, da weiss er wohl etwas, das ich noch nicht rausbekommen habe. Zudem informiert Swissinfo nicht nur die Schweizer im Ausland, sondern die ganze Welt über die Schweiz, es ist das einzige Instrument über das die Schweiz verfügt, um sich im Ausland darzustellen. Deshalb auch die sprachlichen Gefässe. Die Schweiz soll sich also besser verkriechen, nicht über sich informieren, vielleicht gar keine Aussenpolitik mehr betreiben?

Gemäss der Logik "den Zahlern zuliebe" müsste das Strassennetz privatisiert werden und die gesamte Infrastruktur des Landes und dem Bund jede Tätigkeit untersagt werden, weil viele ja entweder kein Auto haben, oder nicht Bahhn fahren, oder nicht an die Uni gehen, oder nie im Krankenhaus sind, usw.

Wer in der Logik "den Zahlern zuliebe" denkt, hat komplett vergessen, was die Schweiz ausmacht, oder will es nicht sehen und arbeitet auf das Auseinanderfallen des Landes hin. Vielleicht wollen die NObillag-Leute ja genau das? Den Zusammenhalt des Landes untergraben, dann soll die deutsche Schweiz zu Deutschland stossen, die Romandie sich Frankreich anschliessen und das Tessin soll in Italien glücklich werden, ist diese das Ziel? Wie anders wäre ein Verzicht auf einen medialen Service publique zu begründen?

Der Schweiz und der Demokratie zuliebe, am 4. März 2018
ein klares ????????NEIN zu NObillag!

#6

Von Pascal Wehrle
30.12.2017
Den Kommentar 4 von Maggy Ritz ist sowas von originell und wahr und spricht mir daher aus dem Herzen. Dieser Beitrag trifft den Nagel ganau auf den Kopf!
Daher ein dickes NEIN zu NO-billag am 4. März

#7

Von Helmut Luensmann
01.01.2018
Lieber Herr Heinzer
Lieber Herr Burkart

ich gehe schon seit geraumer Zeit nicht mehr zur Schule und habe auch keine schulpflichtigen Kinder. Ich weiss ausserdem aus zuverlässigen Quellen, das mancher Kantilehrer, der sich nur ein paar Dutzend kritischen Elternpaaren zu stellen hat oft mehr verdient als viele SRF Mitarbeiter, die sich hunderttausenden von Kritikern gegenüber sehen.
Ich sehe deshalb nicht ein, warum meine Steuergelder für etwas ausgegeben werden, dass ich nicht nutze, möchte deshalb das öffentliche Schulwesen abschaffen, und das Feld privaten Anbietern wie Montessori, AKAD, Rudolf-Steiner, Migros-Klubschule etc. überlassen. Die leerstehenden Schulhäuser könnten dann von den Gemeinden gewinnbringend an den Meistbietenden verkauft werden.
Anhand ihrer Kommentare bin ich sicher, dass ich auf ihre Unterstützung bei meinem Vorhaben zählen kann. Da sie auch zur Schule gegangen sind und sicher auch ab und zu Fernseh schauen, sind sie, wie ich auch, ausgewiesene Experten auf beiden Gebieten. Ich freue mich auf den schlanken Staat und die damit einhergehenden Steuer-und Gebührenersparnisse.

#8

Von S. Lüthi
07.01.2018
Alles ist immer „service public“. Jede Sendung, jeder Sender. Einfach alles und ist unantastbar. Die heilige Kuh der Blutsauger. Wie einfaltslos die Gegner sind, zeigt sich an „Argumente“ wie Vorredner über Bus, Schule sinnfrei abzulenken versuchen. Machen wir doch einen direkten Vergleich! Die Armee musste in den letzten Jahre ziemlich viel Aderlass hinnehmen. Ist die Armee in unserem Land nicht etwa gleich wichtig? Warum soll die SRG ihre überteuerte Monopolstellung behalten??? Und wie sieht es mit der Privatisierung von Swisscom aus? Ist die etwa gestorben? Und warum kommt es überhaupt zu einer solchen radikalen Abstimmung??? Weil das Parlament in Bern, jegliche Vorschläge zum Thema komplett unbearbeitet, hoffte tot schweigen zu können. Und wenn es wie erhofft ein „Ja“ an der Urne gibt, so trägt massgeblich Fr. Leuthard und ihre Blutsauger die Verantwortung für diese Misere...

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