Foto: SRF/Danielle Liniger

Service public – 22.02.2018

Liebe Hörerin

Wenn man bei SRF arbeitet, ist die Verunsicherung in diesen Zeiten manchmal gross. Denn das Publikum, für das man tagtäglich arbeitet, entscheidet über die Abschaffung des eigenen Arbeitsplatzes. Was ein Redaktor bei SRF einer Hörerin über den Wert des Service Public schreibt.

Von Hans Müller*

Liebe Hörerin

danke für Ihre Zuschrift, die mich aus unterschiedlichen Gründen sehr freut.

Zunächst einmal dies: Sie beziehen sich auf diese Sendung, die ein paar Monate zurückliegt; schön, dass Sie sie gefunden haben, auf unserem Portal srf.ch, wo abertausende Audios und Filme frei zugänglich sind, auf Jahre zurück. Ein Archiv, das Lehrer gerne als Grundlage für den Unterricht nutzen, auch Historikerinnen brauchen es als Quelle, und viele Kolleginnen und Kollegen für ihre journalistische Arbeit.

Vielen Dank für Ihr Lob. Wir haben diese Sendung mit Ihren Gebührengeldern gemacht, also auch für Sie. Und uns ist es wichtig, dass Ihnen unsere Sendungen gefallen, dass sie anregen – schliesslich ist es Ihr Geld, das wir einsetzen.

Reportage, Erzählung, Analyse – diese drei Elemente machen die Arbeit unserer Redaktion aus, und ja, wir muten unseren Hörerinnen und Hörern schon etwas zu.

Sie gehören zu den rund hundertdreissigtausend Hörerinnen und Hörern, die dennoch dranbleiben, meistens. Nicht alles ist immer leichtfüssig bei uns, oft ist es happige Kost, auch wenn wir sie bekömmlich auftischen, erzählerisch, vermittelnd. Aber wir sind schon der Meinung, dass es zum Service Public unserer Zeit gehört, dem Publikum so etwas wie Komplexität zuzumuten. Weil wir bestrebt sind, jeden Franken, den Sie uns als Gebührenzahler zur Verfügung stellen, dafür aufzuwenden, um Ihre Sicht auf die Welt ein klein wenig zu erschüttern. Damit sich neue Fragen auftun, bei Ihnen, aber auch bei uns, damit die Filterblase, dieser gefährliche Kokon der eigenen Meinungen und Ansichten, in dem wir uns heutzutage gerne einrichten, immer wieder platzt.

Guter Journalismus braucht Geld. Für die dreihundertfünfundsechzig Franken, die Sie ab 2019 bezahlen, kriegen Sie hunderte von Ausgaben unserer Sendung, das kostet Sie einen Franken vierzig pro Ausgabe. Und dazu erhalten Sie die ganze Palette unseres Programms, Onlinebeiträge, Radiofeatures, Reportagen, Unterhaltungssendungen, Sportbeiträge, Diskussionsrunden, Late Night Shows, Apps, Wissenschaftssendungen, und so weiter.

Klar – nicht immer gelingt es uns, den hohen Ansprüchen, die Sie als Gebührenzahler an uns stellen, zu genügen. Manchmal verläuft eine Diskussion anders, als geplant, es kommt vor, dass wir uns irren; ein Wort wird falsch ausgesprochen, ein Datum verwechselt, und manchmal entwickelt sich ein Sendeprojekt anders, als geplant. Dafür sollen Sie uns kritisieren, nicht nur, weil Kritik wichtig ist im Journalismus, sondern weil Sie ein Recht darauf haben, als Zahlender.

Der Zugang zu uns ist einfach. Sie können uns per Mail erreichen, oder über die Kommentarspalte online, oder rufen Sie uns einfach an. Kritisieren Sie uns, als Journalistinnen und Journalisten sind wir darauf angewiesen, und wenn Ihnen etwas ganz gehörig auf den Nerv ging, dann nehmen Sie die Ombudsstelle und die Unabhängige Beschwerdeinstanz für Radio und Fernsehen in Anspruch; sie wurden geschaffen, um darüber zu wachen, dass wir uns an die publizistischen Grundregeln halten, die für Demokratie und öffentliche Teilhabe wichtig sind. Sie können auch Einsitz nehmen in eines der Gremien, die eingerichtet wurden, damit unsere Qualität stimmt. Im Publikumsrat, der aus allen Teilen der Bevölkerung zusammengesetzt wird, und der unsere Sendungen und Beiträge regelmässig kritisiert. Oder als Mitglied in einer der Regionalgesellschaften der SRG, die uns ebenfalls auf die Finger schauen.

Was ich damit sagen will: Sie haben ein Forderungsrecht uns gegenüber. Dass unsere Berichterstattung tatsächlich zur «freien Meinungsbildung des Publikums durch umfassende, vielfältige und sachgerechte Information insbesondere über politische, wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge» beiträgt sowie auch wirklich «zur kulturellen Entfaltung und zur Stärkung der kulturellen Werte des Landes», und ja – unsere Arbeit soll «das Verständnis, den Zusammenhalt und den Austausch unter den Landesteilen, Sprachgemeinschaften, Kulturen, Religionen und den gesellschaftlichen Gruppierungen» fördern. So lautet unser Auftrag, so steht es in der Konzession, es sind die vielleicht strengsten, aber auch anforderungsreichsten Regeln für Journalismus in unserem Land, Service Public eben.

Eine republikanische Haltung, wenn Sie so wollen, die von uns gefordert wird, sie nimmt uns in die Verantwortung. Aus einer Überzeugung heraus, die von der Intendantin des Dänischen Rundfunks, Maria Rørbye Rønn, im «Magazin» des Tages Anzeigers so formuliert wurde: dass es einen medialen Ort braucht, an dem «jeder und jede Zugang haben kann zu Wissen und Aufklärung». Ein Ort, auf den man sich einigen könne, «und an dem sich alle repräsentiert fühlen».

Damit sind wir nicht marktfähig, in der Tat. Denn der allgemeine Zugang zu Wissen und Aufklärung ist ein öffentliches Gut, der anders verteilt werden muss, als über den Markt; das gilt auch für Schulen, für Gehsteige, für die Post, für Museen.

Natürlich ist dies in Zeiten des Neoliberalismus, in der Vorstellung, dass alles über den Markt geregelt werden kann, angreifbar. Rechte, libertäre Ideologen, greifen die Institution SRG an, indem sie den Dienst an der Öffentlichkeit fundamental in Frage stellen. Für Neoliberale darf es keinen Ort geben, an dem alle gleichermassen Zugang zu Wissen und Aufklärung kriegen, weil der Markt immer nach dem Preis fragt; hier haben Gemeinschaftsgüter, die nicht marktfähig sind, also auch nicht über Preise reguliert werden, keinen Platz.

Deshalb auch die Rede von den «Zwangsgebühren». Die libertären, radikal neoliberalen Kreise, die uns mit ihrer Initiative bekämpfen, stellen sich auf den Standpunkt, dass das Individuum das «absolute und natürliche Recht an und auf sich selbst» besitze, so einer der radikalsten Vertreter dieser libertären Schule, Murray Rothbard; auf ihn bezieht sich einer der Exponenten der Initiative, Olivier Kessler. Nicht von ungefähr ist derselbe Murray Rothbard überzeugter Vertreter der Überlegenheit der weissen Rasse, er verteidigt den Ku-Klux-Klan und hält die USA für den grösseren Unrechtstaat als Nazideutschland; wer die Öffentlichkeit als einen Ort der Aushandlung negiert, will auch nicht, dass Minderheiten oder Andersdenkende eine Stimme kriegen. So hat sich Olivier Kessler denn auch den Leitspruch des Ökonomen, Roland Baader (Schüler des ultraliberalen August von Hayek) zu eigen gemacht, nämlich «Das einzig wahre Menschenrecht ist das Recht, in Ruhe gelassen zu werden» – Roland Baader, der Sätze schreibt wie «Staat bedeutet Zwang und Gewalt. Und das sind Übel, aus denen niemals moralisch Gutes erwachsen kann.»

Aus dieser Perspektive wird sehr vieles zum «Zwang». Ein Zwang sind die Steuern, die ich für staatliche Dienstleistungen zahle, die ich nicht nutze, weil ich zum Beispiel nie eine subventionierte Opernvorführung besuche. Erzwungen ist die Krankenkasseprämie, die ich bezahle, obwohl ich nicht einmal zum Arzt ging im letzten Jahr. Ein Zwang, dass ein Teil meiner Steuer in die Förderung des öffentlichen Verkehrs fliesst, obwohl ich vielleicht nie Zug fahre und nie Tram; und so ist der Service Public in den Augen Olivier Kesslers kurzerhand «der staatlich orchestrierte Diebstahl an Menschen».

Sie sehen: Die Abschaffung der Gebühren für Radio und Fernsehen ist für die Kreise hinter der Initiative, darauf hat der Schriftsteller Lukas Bärfuss hingewiesen, nur ein erster Schritt in ihrem Bestreben hin zur «Zerschlagung jeder staatlichen Institution». Oder wie es Alexander Kluge, der eigensinnige Autor, Wissenschaftler und Fernsehproduzent kürzlich in einem Interview formulierte. Er sagte, wenn die öffentlich-rechtlichen Medien verschwinden, «erstickt die Öffentlichkeit. Weil es den Markt nicht kümmert, ob eine faire, gehaltvolle Debatte möglich ist oder nicht». Erstaunlich, dass trotzdem so viele Bürgerinnen und Bürger der Meinung sind, es brauche diese offene Plattform für alle nicht mehr.

Gut möglich, dass wir das zu wenig vermittelt haben. Dass Sie mit Ihren Gebühren nicht nur eine bestimmte Sendung unterstützen, die, die Sie gerne und aus freien Stücken hören, sondern auch andere. Sie bezahlen auch für die Sendung «Parole in dialett spüdò» auf RTSI, die Sie wohl nie hören werden, Ihr Geld fliesst auch ins Format «Le doc CH» auf RTSR, oder in «True Talk», eine Webserie über Vorurteile, spezifisch für jugendliche Zuschauer gemacht. Mit Gebühren zahlen Sie für Sportsendungen, die Sie nie sehen werden; aber Sie wissen, dass andere das mögen. Ich persönlich unterstütze mit meinen Gebühren auch den Samschtigjass, obwohl mir Jassen ein Gräuel ist; ich kann mir vorstellen, dass es Menschen gibt, die Jassen mögen. Und ich halte es mit Carolin Emcke, die kürzlich in diesem Zusammenhang schrieb, etwas müsse ihr «nicht gefallen, damit ich es für wertvoll halte, etwas muss nicht meinen individuellen Neigungen entsprechen, damit ich es öffentlich wollen kann».

So gesehen stimmen wir nicht über Gebühren ab, sondern über die Zukunft dessen, was unser Land und andere Länder zusammenhält: über ein Minimum an Gemeinsinn. Ein Minimum an Gemeinsinn, der notwendigerweise dem Markt entzogen sein muss, damit alle daran teilhaben können, ein Minimum an Gemeinsinn, der an vielen Orten für die Demokratie und für das Gemeinwohl unentbehrlich ist.

Nur noch eins, vielleicht, als Ergänzung. Wenn die radikalen Apologeten des Marktes behaupten, die Programme öffentlich-rechtlicher Medien liessen sich über den Markt finanzieren, dann übersehen sie den Punkt: dass auch private Medienhäuser ihre Medienprodukte nur noch teilweise über den Markt finanzieren können. Die gedruckten Auflagen der Zeitungen sinken, ebenso die Werbeeinnahmen, auf dem Internet sind Google und Facebook für die Werbebranche interessanter als lokale Medien. Selbst grosse, erfolgreiche Medien wie die «New York Times» oder die «Washington Post» oder «Le Monde» sind defizitär, finanzieren sich vermehrt über andere Kanäle, über profitable Onlineplattformen etwa; sie werden von Grosskonzernen getragen, oder von Mäzenen unterstützt, wie übrigens auch kleinere, innovative Medienprojekte hierzulande, die «TagesWoche» in Basel oder die «Republik» in Zürich. Gerade diese Projekte verstehen Journalismus auch wieder explizit als Dienst an der Öffentlichkeit, sehen ihre Arbeit ausdrücklich im Kontext der allgemeinen, demokratischen, republikanischen Diskussion, durchaus im Sinne eines Service Public.

Der Markt, diese Religion unserer Zeit – er funktioniert eben nicht immer, nicht überall, nicht reibungslos und manchmal auch gar nicht.

In diesem Sinne: Ich weiss ja nicht, wie Sie abstimmen werden, aber danke für Ihre guten Wünsche, wir können sie brauchen. Und wie auch immer – ich wünsche Ihnen weiterhin Formate, die Sie berühren, die Sie als ehrlich empfinden, und die Sie manchmal traurig machen, wenn es denn sein muss,

herzlich, Ihr

Hans Müller

Hans Müller ist ein Pseudonym. Während des Abstimmungskampfes dürfen sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von SRF nur als Privatpersonen äussern; öffentliche Stellungnahmen unter eigenem Namen sind untersagt.

1 Kommentar

#1

Von Irene Fischer
28.02.2018
Klar und verständlich, so wie mein NEIN zu dieser abstrusen libertären Iniatitive. Vielen Dank an die SRG. Irene Fischer, Wädenswil

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