Service public – 18.12.2017

Sein oder Nichtsein

Wer die politische Situation ausnützt, um Druck auf die SRG auszuüben, spielt mit dem Feuer.  Denn unter dem Damoklesschwert der radikalen «No Billag»-Initiative ist keine ernsthafte Debatte über den Service public möglich. Vier Szenarien zu den Folgen der Abstimmung.

Von Nina Fargahi

Die Existenzfrage, die sich der SRG in der Abstimmung «No Billag» am 4. März 2018 stellt, könnte knapp entschieden werden. Nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass die Debatte weitgehend am Kern der Vorlage vorbeigeht. Sowohl Befürworter als auch Gegnerinnen der Initiative beschäftigen sich vor allem mit inhaltlichen und marktbezogenen Motiven und der Frage, was zum Service public gehört und was nicht. Die einen erhoffen sich mehr Spielraum im Markt. Die anderen haben politische Absichten, die SRG einzuschränken oder abzuschaffen. In der Debatte wird vor allem darüber gestritten, was die SRG tun und lassen soll: Diskutiert werden Programmgestaltung, Internetauftritt, Werbung, Anzahl Mitarbeitende, politische Verortung und so weiter. Jeder stellt sich vor dem Hintergrund der Initiative sein gewünschtes und ganz persönliches Lieblings-SRF zusammen.

Viele Akteure beziehen aus strategischen Gründen keine klare Haltung. Sie zündeln, ohne das Haus abbrennen zu wollen. «Wir sind zwar gegen ‹No Billag›, aber …», lautet der viel gehörte und gelesene Relativismus seitens der privaten Verleger. So schreibt Peter Wanner, Verleger der AZ ­Medien: «Hier soll nicht ein Plädoyer gehalten werden für eine Abschaffung der SRG. Aber um eine erhebliche Redimensionierung dieses monopolistischen Giganten wird man nicht herumkommen.» Auch der NZZ-Chefredaktor Eric Gujer lässt die Frage bewusst offen, wie er im Gespräch mit persönlich.com sagt.

Oft ist das Argument zu hören, wonach die SRG nicht auch das machen müsse, was der Markt leisten könne. Das würde allerdings auch bedeuten: Keine Nachrichten mehr, kein Wetterbericht mehr, keine Talks mehr, keine Abstimmungssendungen mehr. Natürlich können Private diese Sendungen produzieren: Zum Beispiel liefert «TeleZüri» mit beschränkten Mitteln gute Inhalte. Aber wenn es nur dieses Angebot gäbe, könnte den Erwartungen des Publikums Rechnung getragen werden? Wohl kaum, denn ohne Einbussen in der Qualität sind solche Angebote nicht zu bewerkstelligen. Gerade Informationssendungen müssten zum Beispiel ohne Korrespondenten auskommen, oder es müssten sonst irgendwie die Fixkosten gedrückt werden, um kein Verlustgeschäft einzufahren. Dominik Kaiser, der Gründer des privaten Fernsehkanals 3+, sagte in einem Interview mit dem «Punktmagazin», dass er nur Erfolg gehabt habe, weil er auf Informationssendungen verzichtet habe.

Auch das andere Argument, wonach Gebühren nur für Sendungen eingesetzt werden sollten, die das breite Publikum interessieren, ist wackelig: Wenn die SRG nur Nachrichten, Wetterberichte, Talks und Abstimmungssendungen produzieren würde, wer würde einen Dokumentarfilm über Demenzkranke bringen oder über die Geheimnisse der Tiefsee? Wer würde die Themen aufgreifen, die bewegen, obwohl sie nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen? Wer würde die kleinen Sprachregionen, wie die rätoromanische Schweiz, mit Radio- und Fernsehprogrammen beliefern? Auch dieser Journalismus ist von hoher Relevanz, obwohl er nicht im wirtschaftlichen Sinn gewinnbringend ist. Oder anders formuliert: Der ganze Schweizer Mediensektor kann nicht einer reinen Marktlogik folgen.

Spiel mit dem Feuer

Diese Debatten, die in vollem Gang sind, sollen und müssen geführt werden. Vergessen geht dabei aber, dass bei einer Annahme der Initiative diese Diskussionen vergeblich geführt worden wären. Wer die politische Situation ausnützt, um Druck auf die SRG auszuüben, spielt mit dem Feuer. Weil es bei einer Annahme der Initiative keine SRG mehr gäbe. Die «No Billag»-Initiative stellt also keine geeignete Grundlage dar, um über den Inhalt des Service public zu diskutieren. Eine wirklich ernst zu nehmende und inhaltliche Debatte muss im Rahmen der Revision des Mediengesetzes geführt werden. Dies wird Mitte nächsten Jahres der Fall sein, wenn der Bundesrat den Vernehmlassungsentwurf vorlegt. Die Stimmbevölkerung entscheidet also am 4. März 2018 darüber, ob sie staatlich finanziertes und unabhängiges Radio und Fernsehen mit einem verfassungsmässigen Auftrag will oder nicht. Es geht dabei schlicht um die Existenz der SRG. Deren Präsident Jean-Michel Cina sagte in der «Arena», man werde den Verein bei einer Annahme «geordnet liquidieren». Sein oder Nichtsein, das ist die Frage.

Im Folgenden wird versucht, vor dem Hintergrund ­eines möglichen Ausgangs der Initiative verschiedene Szenarien aufzuzeigen.

Szenario 1: Deutliche Annahme

Angenommen, die Stimmbevölkerung sagt deutlich Ja zur Initiative: Das ist das Ende der SRG. Auch 34 verschiedene Lokalradios und regionale Fernsehstationen sind davon schwer betroffen und müssen mehrheitlich den Betrieb einstellen, da sie einen grösseren Anteil ­ihrer Einnahmen über Gebührengelder finanzieren.

Dass sich die SRG durch «freiwillige Beiträge» finanzieren könne, ist illusorisch und irreführend: Die Gebühren dienen ja auch dazu, durch Umverteilung die ­«finanzschwachen» Sprachregionen mit Radio- und Fernsehprogrammen zu beliefern, weil diese sich ansonsten keine qualitativ hochstehenden Informations-, Kultur- und Sportsendungen leisten könnten. Allein am Markt lassen sich solche Programme nicht für alle vier Sprachregionen finanzieren, weil die Schweiz dafür zu klein ist. Darin sind sich alle einig. Auch einzelne Sendungen wie beispielsweise die «Tagesschau» können kommerziell nicht überleben, obwohl das oft von den Billag-Gegnern behauptet wird. Die horrend teuren Produktionskosten werden kaum vom Markt eingespielt werden. Auch einzelne beliebte Sendeformate können nicht mit der gleichen Qualität fortgeführt werden.

Dieses Szenario öffnet Tür und Tor für mächtige Investoren, die nicht primär aufgrund der Wirtschaftlichkeit der Informationsdienstleistungen in die Bresche springen, sondern vor allem, um politischen Einfluss auszuüben. Eine «Verpolitisierung» der Schweizer Medienlandschaft ist naheliegend, denn private Kanäle müssen sich nicht auf eine sachgemässe und vielfältige Berichterstattung verpflichten. In diesem Szenario ist der unabhängige Journalismus bedroht oder bleibt schlimmstenfalls gänzlich auf der Strecke. Das lässt sich etwa anhand zahlreicher US-Fernsehstationen aufzeigen: Viele amerikanische Nachrichtenmedien richten ihre Berichterstattung nicht am öffentlichen Bedürfnis nach ausgewogenen und unabhängigen Informationen aus, sondern am kommerziellen Profitstreben oder an politischen Zwecken. Oft wird über Politik berichtet, als sei sie unterhaltsames Spektakel. Einer informierten und kritischen Öffentlichkeit kann auf diese Weise kaum Rechnung getragen werden.

Mit einem Ja zu «No Billag» wird einem neuen Artikel in der Bundesverfassung zugestimmt, der dem Parlament die Hände bindet, Verbesserungen zur heutigen Situation anzustreben. Eine deutliche Annahme der Initiative ist ein Zeichen dafür, dass es die SRG nicht braucht. Dieses Szenario ist allerdings eher unwahrscheinlich.

Szenario 2: Deutliche Ablehnung

Wird die Initiative deutlich abgelehnt, bedeutet das, dass die Schweizer Stimmbevölkerung hinter der SRG steht. Sehr wahrscheinlich kommt dann in wenigen Jahren eine neue Vorlage vors Stimmvolk, die die Medienabgabe pro Haushalt und Jahr auf maximal 200 Franken beschränkt. Akteure, denen «No Billag» zu radikal ist, dürften sich eher auf diese Initiative einlassen. Wie zum Beispiel der Wirtschaftsverband Economiesuisse, der bereits den SVP-Gegenvorschlag unterstützt hatte. Möglicherweise wird die Halbierungsinitiative Sand im Getriebe der Debatte um die Mediengesetz-Revision sein.

Anfänglich bestand die Annahme, dass die aus dem Kreis der jungen SVP und sonstiger Libertärer stammende «No Billag»-Initiative ohnehin chancenlos sei. Mittlerweile scheint auch aufgrund des hauchdünnen Ausgangs der Abstimmung zum RTVG im Jahr 2015 die Meinung vorzuherrschen, dass es angesichts der derzeitigen politischen Lage knapp werden könnte, was zu den folgenden Szenarien führt.

Szenario 3: Knappe Ablehnung

Dieser Ausgang ist ein Schuss vor den Bug der SRG. Es muss dann genau abgeklärt werden, aus welchen Gründen eine knappe Annahme zustande gekommen ist: Wer hat in welchen Sprachregionen in welcher Bevölkerungsschicht mit welchem Geschlecht und Hintergrund aus welchen Motiven so und nicht anders abgestimmt? Immerhin besteht bei einer knappen Ablehnung die Möglichkeit, eine politische Diskussion zu führen. Weil es die SRG, wie wir sie kennen, dann ja noch gibt.

Die Vermutung liegt nahe, dass sich etwa der Verband Schweizer Medien (VSM) solch ein hauchdünnes Resultat wünscht und sich deshalb ambivalent zeigt. Die Abschaffung der Gebühren will der VSM nicht, denn ein Teil seiner Mitglieder lebt von Gebührengeldern aus dem Billag-Topf. Ein knappes Resultat jedoch könnte als Unmut in der Bevölkerung gedeutet werden und so eine Legitimationsgrundlage für Forderungen liefern, die SRG in wesentlichen Bereichen zurückzustutzen. Diese Forderungen zielen auf das neue Mediengesetz ab, das derzeit im Bundesamt für Kommunikation (Bakom) ausgearbeitet wird und Mitte 2018 in die Vernehmlassung geht. Darin vorgesehen ist, dass der Bund neu Online-Medien mit einer ­direkten Medienförderung unterstützt. Über den Stand der Arbeit macht das Bakom auf Anfrage keine Angaben. Lediglich die NZZ stützt sich auf Auskünfte aus der Kommission und schreibt, dass von einer freien Wahl des ­Mediums die Rede sei, also konkret die Verbreitung über das Fernsehen, das Radio oder aber auch online.

Szenario 4: Knappe Annahme

Auch eine knappe Annahme hat zur Folge, dass die SRG am Ende ist. Jedoch mit dem Unterschied zum ersten Szenario, dass sich in der Bevölkerung grosser Unmut über das Ergebnis breitmachen wird. Eine Diskussion über die medienpolitischen Aufgaben der SRG nach einem solchen Ergebnis ist – anders als in Szenario 3 – kaum mehr möglich. Die Folgen davon für die Schweizer Medienpolitik sind nicht abzuschätzen; mit Gewissheit entsteht ein medienpolitisches Chaos. Daniel Binswanger hat die Situation im «Magazin» mit dem Brexit-Referendum in Grossbritannien verglichen. Dort machten sich die Gewinner als Erste aus dem Staub, weil sie keine echten Lösungen parat hatten. Oder wie Winston Churchill sagte: «Das Problem bei politischem Selbstmord besteht darin, dass man weiterlebt, um ihn zu bereuen.»

Der vorliegende Text wurde erstmals im «Schweizer
Monat» in einer kürzeren Fassung publiziert.

1 Kommentar

#1

Von Emanuel Böni
03.01.2018
Es gibt noch ein realistischeres 5. Szenario:

Die NBI wird angenommen. Das Parlament widersetzt sich einmal mehr der "pfefferscharfen" Umsetzung und beschliesst im Rekordtempo und im Notrecht eine alternative Finanzierung. Da dies wesentlich tiefere Einnahmen in die Kassen der SRG spühlt, müssen auch die 24 Sender gekürzt werden. Auf das erträgliche Minimum von 3 TV- und 4 Radio-Sender. Die Begründung des BR lautet: "Damit die Demokratie in der Schweiz nicht zusammenbricht, die Höllentore nicht aufgehen und der Weltuntergang zwischen Alpen und Bodensee ganz knapp verhindert werden kann. Und damit die 4. Landessprache um ein paar weitere Jahre vor dem sicheren Aussterben bewahrt werden kann".

Wer ernsthaft glaubt, die SRG werde bei einem JA ersatzlos gestrichen, glaubt auch an den Storch und den Samichlaus. Oder er glaubt der SRG-Propaganda, die 100% garantiert nicht so eintreffen wie sie im Moment schwarz gemalt wird.

Der nicht vorhandene Plan B wurde ja von der stellvertretenden Generaldirektorin Ladina Heimgartner bereits als glatte Lüge entlarvt. Sie liess immerhin schon durchsickern, dass die Tagesschau neu 1'080 Franken im Abo kosten wird. Was niemand glaubt, aber irrelevant ist. Denn wer einmal lügt...

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