SRF hat das regionale Digitalangebot verändert – und wird dafür sowohl vom Kanton Graubünden wie auch von Programmkommissionen der Deutschschweizer SRG-Mitgliedgesellschaften kritisiert.
Von Bettina Büsser
Nicht mehr «aus der Region für die Region», sondern «aus der Region für die Schweiz» – so lautet ein Urteil der Programmkommissionen von fünf Deutschschweizer SRG-Mitgliedgesellschaften, welche die neu ausgerichtete digitale SRF-Berichterstattung aus den Regionen analysiert haben. Sie regen an, «den Strategiewechsel zu überdenken».
SRF hatte Anfang September 2020 das regionale Angebot auf srf.ch/news und in der SRF-News-App verändert. Die Regionalredaktionen wurden neu ausgerichtet; anstelle von regionalen Online-News-Artikeln werden jetzt weniger, aber vertiefende Geschichten von überregionalem Interesse publiziert. Und die bisherigen regionalen Unterseiten wurden aufgehoben. Die regionalen Inhalte finden sich nun auf den Kanälen von SRF News unter «Schweiz».
«Fokussierung der Aufgaben»
Im Oktober reagierte der Grosse Rat des Kantons Graubünden: In zwei Vorstössen wurde unter anderem ein «Abbau des Service public» moniert. Der zuständige Regierungsrat Jon Domenic Parolini intervenierte nach der Ratssitzung bei Bundesrätin Simonetta Sommaruga. Diese schrieb zurück, es sei mit den regionalen Unterseiten eine «kaum genutzte» Dienstleistung eingestellt worden, dafür sei ein neues Angebot entstanden, das ein grösseres Publikum erreiche: «Das UVEK sieht darin keinen Abbau des Service public.»
Auch Maurice Velati, Leiter der SRF-Regionalredaktion Aargau/Solothurn und als Projektleiter der Online-Aktivitäten der Regionalredaktionen für die Neuerungen zuständig, weist gegenüber EDITO darauf hin, dass die regionalen Unterseiten laut SRF-Studien nur wenig genutzt worden seien. Da die Beiträge für das Radio-Regionaljournal den «mit Abstand» grössten Teil der Arbeit der Regionalredaktionen ausmachten, sei jeweils nur eine Person für das regionale Online-Angebot verantwortlich: «Deshalb war eine Fokussierung der Aufgaben angezeigt.»
Mehr aufwendigere Geschichten. Er verstehe unter regionalem Service public von SRF qualitativ hochwertigen Journalismus, der die Angebote von privaten Verlagen ergänze, sagt Velati: «Reine Newsmeldungen tragen zur regionalen Medien- und damit Perspektivenvielfalt kaum bei. Nun publizieren wir aufwendigere Geschichten mit eigenen journalistischen Ansätzen.» Diese würden jetzt auch auf der «Frontseite» im Web und auf der App platziert und erreichten deshalb viel mehr Publikum.
Velati war im März an einer Sitzung der Präsidentinnen und Präsidenten der Programmkommissionen (PK) von fünf Deutschschweizer SRG-Mitgliedgesellschaften, Aargau/Solothurn, Bern/Freiburg/Wallis, Ostschweiz, Basel und Zentralschweiz, anwesend. Denn diese PK hatten die Neuerungen gemeinsam analysiert.
Aufs Überregionale ausgerichtet
«Die Qualität der Onlinebeiträge ist immer noch sehr hoch», lautet das Fazit von Fabian Gressly, PK-Präsident SRG Aargau/Solothurn: «Aber sie waren früher mit den regionalen Unterseiten einfacher zu finden. Und es gab mehr Beiträge.» Mit den Zusammenschlüssen bei Tamedia und CH Media habe bei diesen Medien die regionale Berichterstattung abgenommen, nun gebe es auch bei SRF-Online weniger regionale Geschichten «und nicht mehr diejenigen, die regional, sondern diejenigen, die überregional interessieren».
Gressly versteht, dass SRF Anpassungen habe vornehmen müssen – «die Mittel sind beschränkt». Aber: «Unter dem Strich ist es quantitativ ein Verlust, und der Perspektivenwechsel kann zu einem Informationsverlust führen.» Die Beobachtung sei deshalb für die PK nicht abgeschlossen.
Linards Udris, stv. Forschungsleiter am Forschungszentrum Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög), unterscheidet zwischen Inhalten und Sichtbarkeit der Regionalberichterstattung bei SRF digital: «Es gibt noch zu wenig Empirie zu den Inhalten, die zeigen würde, dass SRF tatsächlich die Regionalberichterstattung abbaut oder verstärkt für die Schweiz statt für die Region produziert.» Das Problem liege vermutlich eher darin, dass die regionalen Inhalte und Beiträge weniger sichtbar seien. Darauf habe SRF reagiert und zeige einzelne Beiträge wieder innerhalb der Regionaljournal-Seiten an. «Da die digitale Nutzung zunimmt, sind Sichtbarkeit und Auffindbarkeit und die Möglichkeit, einzelne Beiträge auf den sozialen Medien zu nutzen und zu teilen, sehr wichtig», so Udris. Die Forschung zeige etwa, dass die politische Beteiligung sinke, wenn Medien nicht mehr über die eigene Region berichteten: «Deshalb ist eine substanzielle und gleichzeitig sichtbare Berichterstattung in den einzelnen Regionen und für die einzelnen Regionen sehr wichtig.»
aus: EDITO 2/21 (Fokus-Thema Lokaljournalismus)
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